Was sagen US-Think Tanks zu Nord Stream 2? (Teil 1)

Was sagen US-Think Tanks zu Nord Stream 2?

Hier geht es zum zweiten Teil unserer Analyse.

Teil 1: „Center for Strategic & International Studies (CSIS)“ und „Carnegie Endowment for International Peace“

In unseren Beiträgen zur Diskussion über den Bau der Ostseepipeline „Nord Stream 2“ haben wir bisher insbesondere auf Analysen und Meinungen deutscher Experten hingewiesen. Letzte Woche berichteten wir über die dringenden Warnungen beteiligter Unternehmen sowie von Außenminister Gabriel vor den geplanten US-Sanktionen gegen Russland, die sich auch gegen den Pipelinebau richten.

In der Diskussion über die Sanktionspolitik gegenüber Russland und den Bau der Nord Stream zeigen sich immer deutlicher große Differenzen zwischen den USA und vielen EU-Staaten. Wir haben deswegen recherchiert, wie sich amerikanische „Denkfabriken“ zum Bau der Nord Stream und zur Entwicklung des europäischen Erdgasmarktes äußern. In diesem Beitrag können sie lesen, was wir beim „Center for Strategic & International Studies (CSIS)“ und der Stiftung „Carnegie Endowment for International Peace“ gefunden haben.

Im „Think Tank-Ranking“ der Universität von Pennsylvania, das auf einer internationalen Umfrage basiert, liegt das CSIS in der Rangliste der weltweit besten Think Tanks auf Platz 4, die Carnegie-Stiftung gleich dahinter auf Platz 5. Besser als CSIS und Carnegie ist von den US-Think Tanks nur die „Brookings Institution“ eingestuft. Sie liegt in den USA und weltweit auf Platz 1. Auf Stellungnahmen der Brookings Institution zur Nord Stream werden wir in einem weiteren Beitrag eingehen.

„Center for Strategic & International Studies (CSIS)“: Experten diskutierten Russlands internationale Energiepolitik „Of Energy and Geopolitics“

Fair und sachlich analysiert das CSIS das Thema Nord Stream.

Im Mai 2016 gab das Center Ulrich Lissek (Nord Stream 2) und Dr. Hans-Ulrich Engel (Wintershall/BASF) Gelegenheit für eine Präsentation des Projekts in Washington („Nord Stream 2 – What’s it all about“).

Jetzt nahm das CSIS das Thema „Nord Stream“ im Rahmen einer informativen Diskussion dreier CSIS-Experten wieder auf (als „Podcast“ nachzuhören „Of Energy and Geopolitics“, 14.07.2017). Die CSIS-Experten waren sich einig, dass die EU-Länder sich der Abhängigkeit von Erdgaslieferungen aus Russland sehr bewusst seien und mit großem Erfolg viel getan hätten um Risiken einzugrenzen. US-LNG könne – weil zu teuer – in Europa wohl nur kleine Marktnischen ausfüllen, anders als in Asien. Neben der Nord Stream und Turkish Stream (insbesondere Minute 26 bis Minute 37) wurde auch über die Energiebeziehungen Russlands mit China und die russische Ölpolitik diskutiert.

„Carnegie Endowment for International Peace“

Wiederholt und ausführlich hat sich nicht nur die Moskauer Filiale der Carnegie-Stiftung mit den Energiebeziehungen zwischen Russland und Europa beschäftigt. Auch Judy Dempsey, Nonresident Senior Fellow von „Carnegie Europe“ und dort Chefredakteurin des Blogs „Strategic Europe“ kommentierte das Thema oft.

Judy Dempsey berichtete schon seit den 80er Jahren für die Financial Times über Osteuropa, für die FT war sie Korrespondentin in Berlin, Jerusalem und Brüssel. 2004 wechselte sie zur International Herald Tribune, war dort Deutschland- und Osteuropakorrespondentin und bis 2013 Kolumnistin. Die gebürtige Irin lebt in Berlin. Wer könnte geeigneter sein, Entwicklungen im deutsch-russischen Verhältnis zu beurteilen?

Dempsey lehnt den Bau der Nord Stream 2 in ihren Kommentaren zwar weiterhin entschieden ab. Gleichzeitig kritisierte sie die geplanten einseitigen US-Sanktionen jetzt aber scharf.

Judy Dempsey: Geplante Sanktionen schaden transatlantischer Gemeinsamkeit und spalten Europa

In ihrem jüngsten Kommentar warnte Dempsey am Montag eindringlich, dass die Sanktionen der Gemeinsamkeit mit der EU in der Sanktionspolitik gegenüber Russland schaden würden. Zudem förderten die Sanktionspläne eine Teilung innerhalb Europas. Von den Sanktionen wären außerdem nicht nur an Nord Stream 2 beteiligte Unternehmen betroffen, sondern auch Aktivitäten zur Erschließung von Energiereserven im Kaspischen Raum, die zur Diversifizierung der europäischen Energieversorgung beitragen könnten.

Der Protest der EU-Kommission sei verständlich. Dempsey erkennt an, dass die geplanten Sanktionen auch den Interessen von US-Unternehmen dienten, die ihre Position auf dem europäischen Markt ausbauen wollten.

Für Dempsey gibt es aber noch „einen Funken Hoffnung“. Sie macht darauf aufmerksam, dass die jüngste Version des Gesetzes eine Formulierung enthalte, dass der Präsident die Sanktionen „in Abstimmung mit den Alliierten der Vereinigten Staaten“ einführen dürfe.

Dempsey fragte: Ist Europa zu abhängig von russischer Energie?

In ihrer Reihe „Judy Asks“ fragte Dempsey kürzlich zahlreiche Osteuropa-Experten: „Ist Europa zu abhängig von russischer Energie?“ Wir haben einige Antworten im Hinblick auf die Ostseepipeline ausgewählt.

Zu den von Judy Dempsey Befragten gehörten auch ihre Kollegen Erik Brattberg, „Fellow“ der Carnegie-Stiftung und Direktor ihres Europa-Programms, und David Livingston, „Associate fellow“ im „Energie- und Klima-Programm“. Die beiden hatten sich Anfang Juli in einem Artikel bereits zu Nord Stream und zur Sicherung der europäischen Energieversorgung geäußert.

Carnegie-Experten fordern: Gazproms Dominanz auf dem EU-Gasmarkt eindämmen!

Sie meinen, es sei ein noch stärkeres Engagement der USA in dieser Angelegenheit erforderlich, obwohl es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte bei der Verringerung der europäischen Abhängigkeit von russischer Energie und der besseren Diversifikation der Energieangebots in Europa gegeben habe. Es müsse ganz klar noch mehr getan werden, um die immer noch dominante Stellung des russischen Energiegiganten Gazprom auf dem europäischen Gasmarkt einzudämmen.

Das US-Außenministerium habe europäischen Regierungen auch seine Unzufriedenheit mit dem geplanten Bau der Nord Stream 2-Pipeline mitgeteilt. Zunehmend klar sei auch, dass die Regierung Trump die Absicht habe, LNG-Exporte nach Europa mit seinem übergreifenden politischen Ziel einer “American energy dominance” zu verbinden.

Carnegie-Direktor Erik Brattberg widerspricht Gabriel: Versorgungssicherheit der EU ist eine „transatlantische“ Angelegenheit

Direktor Erik Brattberg meint in seiner Antwort auf Dempseys Umfrage, Nord Stream 2 würde die Abhängigkeit der EU-Energieversorgung von Russland verstärken. Die „Unwilligkeit“ der Berliner Regierung beim Nord Stream-Projekt nachzugeben, die vorrangig vom Blick auf die Interessen der deutschen Wirtschaft geleitet sei, könnte interne Differenzen in Europa verstärken, was Präsident Putin ausnutzen könnte.

Die Bemerkung Außenminister Gabriels, die europäische Energieversorgung sei eine Sache Europas, nicht der Vereinigten Staaten, sei „nicht korrekt“. Europas Energieversorgungssicherheit sei eine „transatlantische“ Angelegenheit.

Ganz offen spricht Brattberg abschließend auch kommerzielle Interessen der USA an. Er meint, vielleicht werde die Regierung Trump intervenieren, um zu versuchen den Fortschritt des Projekts Nord Stream 2 zu verhindern – und sei es nur um amerikanische LNG-Exporteure „zu schützen“, die sonst weniger wettbewerbsfähig in Europa wären.

David Livingston: Angebot für Importländer wird sich erheblich verbessern

David Livingston, Energieexperte der Carnegie-Stiftung, sieht das Projekt offenbar positiver. Er weist darauf hin, russisches Erdgas stelle „rund ein Drittel“ der EU-Gasimporte. Es gebe keine Anzeichen, dass sich daran bald etwas ändern werde

Die niedrigen Produktionskosten für russisches Erdgas sollten den europäischen Verbrauchern, so Livingston, zu Gute kommen. Einige Importländer seien jedoch nicht in einer Position, über niedrigere Preise und bessere Vertragsbedingungen verhandeln zu können, da sie keine alternativen Bezugsmöglichkeiten hätten.

Livingston erkennt jedoch an, dass es in dieser Hinsicht Fortschritte gibt. Bis 2025 könne sich die Lage für die Importländer mit der Aufnahme von Pipeline-Lieferungen aus Aserbaidschan und LNG-Lieferungen zu neuen Terminals in Litauen, Polen und eventuell Kroatien erheblich verbessern. Das werde zwar nicht unbedingt niedrigere Importmengen aus Russland bedeuten, aber bessere Preiskonditionen (wie das Beispiel Litauen gezeigt habe).

Der Experte rät der EU, in der Gasmarktpolitik weiter auf Wettbewerb zu setzen und das vielfältige Gasangebot von Norwegen über Katar bis hin zu den USA zu nutzen.

Alan Riley: Nord Stream 2 ist ein Verrat einiger westeuropäischer Staaten

Alan Riley, Professor der Londoner City Law School (außerdem u.a. „Senior fellow“ des Londoner „Institute for Statecraft“; „Nonresident senior fellow“ beim Washingtoner Atlantic Council) kritisiert Nord Stream in der Umfrage von Judy Dempsey am schärfsten. Er antwortet, dass die mittel- und osteuropäischen Staaten sowie die baltischen Staaten schon jetzt zu abhängig von Russengas sind. Für sie sei Nord Stream 2 „ein Verrat“ einiger westeuropäischer Staaten an ihren Sicherheitsinteressen. Es sei ein Projekt, das Russlands Position stärke und zu höheren Preisen führe. Deswegen seien diesen Staaten die US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 und die Aussichten auf LNG aus den USA willkommen.

Judy Dempsey: Merkels Haltung zu Nord Stream ist „verwirrend“

Als Autorin des 2013 erschienen Buches „Das Phänomen Merkel“ – Deutschlands Macht und Möglichkeiten“, hat sich Judy Dempsey insbesondere für die Haltung von Bundeskanzlerin Merkel zum Nord Stream Projekt interessiert.

Nachdem am 26. Juni in Brüssel die EU-Energieminister vereinbarten, erst im Herbst zu entscheiden, ob die EU-Kommission ein Mandat für Verhandlungen mit Russland über Nord Stream erhalten soll, nahm Dempsey in einem Kommentar zur Nord Stream-Politik der Bundesregierung Stellung. Sie meint, die Weigerung Merkels, ihr Einverständnis mit dem Bau der umstrittenen Pipeline aufzugeben, sei aus mehreren Gründen „verwirrend“.

Erstens sei Nord Stream nicht, wie von der Bundeskanzlerin wiederholt betont, ein kommerzielles Projekt, das von Unternehmen entschieden werden sollte, sondern „hoch politisch“. Der Bau der Leitung widerspreche allen Intentionen, die Sicherheit der Energieversorgung in der EU zu erhöhen (weniger Abhängigkeit von russischer Energie, stärkere Diversifikation, Liberalisierung des Energiesektors).

Zweitens sei es verwirrend, wenn es zumindest in Westeuropa zunehmend Bestrebungen gebe, die Stellung der EU-Kommission zu stärken, Merkel aber die Politik Schröders fortsetze, mehr auf Vereinbarungen zwischen den Regierungen bei Treffen des EU-Rates zu setzen.

Und schließlich stimme Merkels uneingeschränkte Unterstützung der Nord Stream-Pipeline nicht damit überein, dass gerade Merkel es war, die an führender Stelle zur Verhängung der EU-Sanktionen gegenüber Russland beigetragen habe.

Quellen und Lesetipps zu Nord Stream 2:

Carnegie und CSIS

Judy Dempsey (Carnegie): New U.S. Sanctions Damage Ties With Europe; 25.07.2017

Judy Dempsey (Carnegie): Judy Asks: Is Europe Too Dependent on Russian Energy? 12.07.2017

Erik Brattberg, David Livingston (Carnegie): Beyond Fatalism – Transatlantic Energy and Climate Coopreration after the Paris Announcement; 05.07.2017

Judy Dempsey (Carnegie): The Contradictions of German Foreign Policy; German Chandellor Angela Merkel’s refusal to abandon the controversial Nord Stream pipeline is puzzling for several reasons; 27.06.2017

Center for Strategic & International Studies: „Of Energy and Geopolitics“; Ed Chow, Olga Oliker and Jeffrey Mankoff discuss Russia’s European pipeline politics, its complex relationship with China, and its current ambitions in the oil and gas sector (Podcast; Minute 25 bis 37 zu Nord Stream); 14.07.2017

Ostexperte.de

Thorsten Gutmann: USA verankern Russland-Sanktionen im Gesetz; Ostexperte.de, 25.07.2017

Thorsten Gutmann: USA kurz vor neuen Sanktionen; Ostexperte.de, 24.07.2017

Christian Wipperfürth: Gas aus den USA statt aus Russland? Ostexperte.de, 24.07.2017

Klaus Dormann: Europäische Unternehmen warnen vor US-Sanktionen; Ostexperte.de; 21.07.2017

Klaus Dormann: Alles, was Sie über Nord Stream 2 wissen müssen;

Teil 1: Was meinen SWP- und EUCERS-Experten zur Nord Stream 2; Ostexperte.de, 09.07.2017

Teil 2: Neue wissenschaftliche Analysen; Ostexperte.de, 11.07.2017

Sonstige:

Michael Knigge: Neue US-Russland-Sanktionen – wenig Begeisterung bei Trump; DW, 25.07.2017

Rainer Seele (Vorstandsvorsitzender OMV): Nord Stream 2 ist nicht Trumps Sache; FAZ, 24.07.2017

René Höltschi: Neue US-Sanktionen gegen Russland; EU befürchtet Kollateralschäden; NZZ, 24.07.

DWN: Neue US-Sanktionen: Geschäfte mit Russland würden fast unmöglich; 24.07.2017

orf.at: USA vor Sanktionen gegen Russland, Nordkorea und Iran; 23.07.2017

Clemens Wergin: Russland-Sanktionen: US-Kongress sendet klare Botschaft und Putin. Und an Trump; Die Welt, 23.07.2017

Malte Daniljuk: USA gegen Nordstream: Der Wirtschaftskrieg um Gaslieferungen in Europa beginnt; RT Deutsch, 21.07.2017

Spiegel Online: USA gegen Ostseepipeline – “Es herrscht Krieg um fossile Energie”; 21.07.2017

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Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]flickr.com – Jim Mattis –170111-D-SV709-861 (CC BY 2.0); geändert zu 1040×580