Meine Babuschka ist keine hohle Holzpuppe!

Im Ausland beliebt, in Russland belebt: „Babuschkas” – und was jeweils dafür gehalten wird

Es gibt viel zu tun, wenn man den Deutschen die falsch verwendeten oder vermeintlich russischen Wörter ausreden möchte. Erst kürzlich hat sich unsere Autorin hier bei Ostexperte.de “Na sdorowje” vorgenommen. Heute ist “Babuschka” dran. 

Von Mila Smirnova


Liebe Deutsche,

Babuschkas, das sind doch diese lustigen russischen Holzpuppen, die man ineinander stecken kann, denken viele von euch. Das ist aber leider falsch. Die tatsächlichen Babuschkas wären sogar beleidigt, wenn sie wüssten, dass ihr sie für hohle Holzpuppen haltet.

Meine Babuschka – das ist nämlich meine Großmutter oder Oma, wie man in Deutschland so schön sagt.

Die Holzpuppen, von denen ihr bei eurem ersten Russlandbesuch sicher welche gekauft habt, sind Matroschkas oder genauer geschrieben “Matrjoschka“ mit „trj” (Auf Russisch: Матрёшка). Ich weiß, das ist schwieriger auszusprechen – das “trj” in Verbindung mit dem gerollten „R” – aber so es ist leider richtiger. Neben Matroschka habe ich auch schon – nicht merken, das ist alles falsch – Mumuschka, Matrioschka, Matruschka oder Maroschka gehört.

So hört es sich übrigens richtig ausgesprochen an (mit geheimer Botschaft an alle Russischsprechenden).

Wenn euch das jetzt sehr belehrend vorkommt, bitte ich euch, es einmal so zu sehen: Ich bewahre euch davor, dass ihr an einem Stand, an dem das hübsch angemalte Schachtelholz verkauft wird, auf Russisch “eine “Oma” bestellt. Und ja, so komisch klingt das für russische Ohren.

Matrjoschka: Berühmtes russisches Souvenir mit junger Geschichte

Wie ihr also aus eigener Erfahrung wisst, ist die Matrjoschka DAS Souvenir aus Russland. Nur in russischen Wohnungen findet man die Schachtelpuppe selten. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass es in deutschen Haushalten mehr dieser Puppen gibt, als in russischen. Und, um an dieser Stelle noch ein Irrtum aufzuklären: Sie hat sie keine jahrhundertealte Tradition, wie viele denken, sondern ist nur etwas über 100 Jahre alt.

Wie es genau zu der Puppe kam, ist indes nicht ganz klar. Sie entstand wohl Ende des 19. Jahrhunderts. Ein russischer Maler und ein Drechsler schufen damals das Spielzeug, eine hübsche Holzbäuerin in russischer Tracht. Sie nannten sie Matrjoschka, eine liebevolle Variante des damals verbreiteten russischen Namens Matrjona (von “мать”– Mutter). So lautet zumindest eine von vielen Versionen, wie es zur Matrjoschka gekommen sein soll.

Fakt ist, dass sie es auf die Pariser Weltausstellung 1900 schaffte, dort präsentiert wurde und eine Bronzemedaille gewann. Damit entpuppte sich die Matrjoschka als internationaler Erfolg. Zunächst wurde die riesige Nachfrage in Sergijew Possad befriedigt, dann in weiteren Dörfern nordwestlich von Moskau.

Mehr will ich mich der Holzpuppe aber nicht widmen. Das Russland-Journal hat zum Beispiel ausführlich über die mögliche Herkunft der Puppe geschrieben. Es gab außerdem in Moskau ein Matrjoschka-Museum (siehe dieses Video), in dem man etwas über die Geschichte der Puppe in der Puppe in der Puppe in der Puppe in der Puppe in der Puppe in der Puppe…

…der Rekord liegt bei 72…

… lernen konnte. Das Museum wurde allerdings 2013 auf Beschluss des Kulturministeriums geschlossen. Das ist bis heute umstritten.

Babuschkas: Die berühmt-berüchtigten russischen Großmütter

Reden wir also lieber über Babuschkas.

Ich habe zwei. Aber um die soll es hier nicht gehen. Sondern um die russischen Großmütter allgemein.

Ich vermute, dass das Missverständnis Matrjoschka-Babuschka auch darauf zurückgeht, dass russische Babuschkas so berühmt-berüchtigt sind. Sie sind ein wichtiger Teil des russischen Alltags. Sie können dir überall begegnen – wie Stände mit Matrjoschkas. Und sie passen auf, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Ich habe zum Beispiel die Geschichte gehört, dass eine Babuschka in der Moskauer Metro mit dem Stock auf ein küssendes Paar einschlug, weil sie das für unpassend hielt.

Babuschka, das heißt meist auch böse Blicke. In kleineren Städten, wie in meiner Heimatstadt Rschew (ha, sprecht das!), wissen sie alles. Über jeden. Und reden darüber. Sie sitzen auf Bänken vor der Haustür, essen Sonnenblumenkerne, „Semetschki“, und wachen über die Stadt – von morgens bis abends. So habe ich das zumindest in meiner Kindheit erlebt.

Irgendwann sind dann aber in unserem Haus nacheinander alle Babuschkas ausgestorben. Djeduschkas, die Opas, gibt es in Russland übrigens ohnehin weniger als Babuschkas.

In größeren Städten wird man mit Babuschkas, die nicht zwingend tatsächlich Großmütter seien müssen, eher in Läden konfrontiert. Sie bitten einen dann zum Beispiel, dass man mit den jugendlichen Augen das Klitzekleingedruckte auf den Verpackungen vorliest. Oder man trifft sie wie erwähnt in der U-Bahn, wo man ihnen dann den Platz überlassen sollte – auf den sie sich dann manchmal doch nicht setzen wollen. Sollte man aber aus irgendeinem Grund nicht aufstehen (sollte man aber, allein aus Höflichkeit), zieht das mit Sicherheit böse Blicke und lautes Schimpfen nach sich: „Die Jugend von heute…“

Wenn Blicke töten können, dann sind es Babuschka-Blicke. Da bin ich mir sicher.

Zu Hause sind sie aber meist lieb, aufopferungsvoll, kochen fantastisch und schenken Süßigkeiten – besonders den Enkelkindern. Das sage ich nicht nur aus Angst vor den Blicken, sondern aus Erfahrung.

Müsste ich ein Bild einer typischen Babuschka malen, so trüge sie Kopftuch und Rock und hätte ein runzeliges Gesicht. Damit hat sie, abgesehen von den Falten, Ähnlichkeit mit den meisten „klassischen“ Matrjoschkas, denen meist ein glattes Holzgesicht gemalt wird. Das ist aber wohl neben der ähnlich klingenden “-schka”-Endung eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen Babuschka und Matrjoschka.

Es gibt in den Souvenirläden mittlerweile die ausgefallensten Varianten letzterer: mit Putin-Motiv, Medwedew, Jelzin, Lenin, mit Beatles, mit… Batman. Alles, was ihr euch vorstellen könnt und vor allem auch das, was ihr euch nicht vorstellen könnt, wird ineinander geschachtelt. Sucht das einfach mal bei Google – ihr werdet erstaunt sein.

Aber sucht nach dem richtigen Begriff, sonst findet ihr Omas…

Babuschka Google
Auch Google kennt sich nicht aus.

…oder auch nicht.

Nun sogar du, Google?

Die Verwirrung ist offenbar perfekt. Auch die hier verwendeten Bilder wurden übrigens alle unter dem Suchbegriff “Babuschka” gefunden. Immerhin verweist Wikipedia darauf, wie es richtig heißt. Es wird Zeit für ein Umdenken. Benennt die Dinge beim (richtigen) Namen.

Damit ihr es also nicht verwechselt:

Meine Babuschka ist meine Oma und keine hohle Holzpuppe! 

Und weil es so schön ist, und mir das am Anfang meines letzten Artikels so viel Aufmerksamkeit verschafft hat:

Merkt euch das.


P.S.: Vielleicht kennen die Deutschen die „Babuschki“ doch – vom Eurovision Song Contest 2012 in Baku. Dort wurde die “Buranowskije Babuschki” (die Babuschkas aus Buranow) Zweiter. Verändert hat das aber meiner Einschätzung nach nicht viel im Bezug auf die Trennung der Begriffe.


Haben Sie “Babuschka” auch schon von Deutschen gehört? Welche Varianten sind noch verbreitet? Wir freuen uns über Ihre Kommentare!