Kommentar am 30. Juni 2017

Die erfolgreiche Konferenz der Städtepartner in Krasnodar, der sprunghafte Zuwachs im deutsch-russischen Warenaustausch, die Frequenz der Außenministertreffen – man möchte glauben, im Verhältnis zum großen Nachbarn im Osten bricht Tauwetter an.

Sogar die Falken in den Leitmedien halten sich zurück, als sei ein unsichtbarer Wink ergangen. Doch der Schein trügt; in der Realität ist alle Sympathie verbraucht. Die Berichterstattung zum Confed-Cup beschränkt sich auf das Sportliche; man könnte meinen, das Turnier fände im Niemandsland statt. Zwar fehlen die hämischen Kommentare wie im Vor- und Umfeld der Winterspiele 2014 – aber das war’s dann auch. Positives über Russland läuft derzeit nur auf Sputnik News.

Die Politiker beider Seiten haben sich zurückgezogen, resigniert, beleidigt oder verbittert, je nachdem. Jedenfalls tief entfremdet. Sigmar Gabriel und Sergej Lawrow betreiben Krisenmanagement mit gedämpftem Schaum; derweil wartet alle Welt, wie es in Washington weitergeht.

In der Tat könnten die Positionen kaum widersprüchlicher sein. Der Westen als Höchstinstanz der von ihm postulierten Werte muss aus innerer Logik heraus auf deren Einhaltung beharren. Russland als selbstbewusstes Gegenüber, trotz aller wirtschaftlichen Schwäche machtpolitisch auf Augenhöhe, kann nicht anders, als dem Westen Doppelzüngigkeit vorzuwerfen. Die berühmt-berüchtigten doppelten Standards.

Jede diplomatische Lösung, ob in der Ostukraine, auf der Krim oder in Syrien, scheitert an diesem Grundwiderspruch. Russland und China fordern die normative Autorität des Westens in die Schranken. Der Westen aber, der seine Autorität ausschließlich normativ – nicht mehr aufgrund militärischer oder wirtschaftlicher Überlegenheit – legitimiert und definiert, gäbe sich selbst auf, wenn er dieser Herausforderung nicht widerstände.

Zwei Kläger und kein Richter – gäbe es keine Nuklearwaffen, hätte längst das Schlachtfeld entschieden. In der Realität des 21. Jahrhunderts drehen die Kontrahenten sich im Kreis, bis sie erschöpft niedersinken.

Wirtschaft und Zivilgesellschaft profitieren von der politischen Atempause. Man stelle sich das Mediengepolter vor, hätte Mercedes-Benz den Bau des neuen Werks in Esipovo nicht 2017, sondern zwei Jahre früher verkündet. Wer Investitionspläne für Russland in der Tasche hat, möge sie also schnellstmöglich realisieren. Jetzt ist der Zeitpunkt. Auch Nord Stream 2 wird gebaut. Der Primat der Politik ist verbraucht, und die Völker können profitieren.