Kolumne: Gemischtes Doppel #6 – Wähler und Arschlöcher

Gemischtes Doppel #6 – Wähler und Arschlöcher

Heute ist Montag, der 19. September 2016, willkommen beim Gemischten Doppel. Diesmal Maxim Kireev (RU): Wie die Couch-Partei die Parlamentswahlen in Russland gewann.

Выборы Выборы, кандидаты пидоры. Wer das nicht lesen kann, liebe Leserinnen und Leser, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein dummer Wessi, wie man im Osten einst zu scherzen pflegte. Oder er kennt nicht den russischen Komödienklassiker Djen Wyborow (Wahltag). Der Plot: Ein Oligarch finanziert den Wahlkampf eines Alibi-Kandidaten, doch sein Wahlkampfteam ist so gut, dass sie versehentlich gewinnen. Hinzu kommt, dass die Wahlkämpfer den ganzen Film über so mit trinken beschäftigt sind, dass sie den Sieg auch noch in der falschen Region holen.

Zur Krönung des Ganzen hat Russlands berühmtester Elite-Punk Sergej Schnurow einen Auftritt mit einem Lied, das mit den anfangs zitierten Zeilen endet, die inzwischen Eingang in die russische Folkore gefunden haben: Wahlen, Wahlen, alle Kandidaten sind Arschlöcher. Natürlich reimt sich das auf Russisch. Und mit den Zeilen traf Schnurow wie so oft den Nerv der Russen.

Der Film ist beinahe zehn Jahre alt, und Schnurow singt heute lieber ironische Liedchen über Stöckelschuhe und Silikonbrüste. Doch das Verhältnis der Russen zu Wahlen ist kaum besser geworden.

Denn der Hauptgewinner dieser Dumawahl ist die Couch-Partei, die zwar nie in die Duma einziehen wird, die aber dafür gesorgt hat, dass die Wahlbeteiligung mit etwa 40 Prozent die mit Abstand schlechteste seit Erfindung der Demokratie in Russland ist.

Ein Grund ist sicherlich, dass der Kreml nach wie vor aussichtsreiche Gegner wie Alexej Nawalnys Fortschritts-Partei nicht zu den Wahlen zulässt, die wichtigsten Medien kontrolliert und notfalls auch manipuliert, indem etwa Soldaten oder Mitarbeiter kommunaler Betriebe geschlossen zur Wahl geführt werden.

Gleichzeitig waren die Bedingungen für die etablierten Oppositionsparteien wie Parnas und Jabloko so gut wie lange nicht. Parnas-Mann Wjatscheslaw Malzew forderte im Fernsehen Putins Amtsenthebung, Jablokos Leute tauchten ständig in politischen Talkshows auf. Der verhasste Wahlleiter Wladimir „Mr.146 Prozent“ Tschurow wurde durch die mehrheitlich respektierte Ella Pamfilowa ersetzt, während hinter den Kulissen alle davon redeten, dass diesmal ehrlich gewählt werden sollte.

Tatsächlich könnte die niedrigere Beteiligung zum Teil darin begründet sein, dass die Fälschungen deutlich geringer ausfielen als 2011. Doch die Hauptschuld ist wohl dem lustlosen Wahlkampf zuzuschreiben, den nicht nur Einiges Russland und die Blockflötenparteien, sondern auch die Opposition geführt haben. Es gab keine Aktion der Opposition in den letzten Wochen und Monaten, die Aufmerksamkeit erregt hat. Der Wahlkampf brachte keinerlei neuen Wahlkampftechniken, wie Oppositionsaktivist Kirill Schulika zu Recht kritisiert.

Der Soziologe Denis Wolkow schreibt seinerseits, dass es potenziellen Wählern einfach unklar sei, womit sich die liberalen Parteien außerhalb der Wahlkämpfe beschäftigten. Statt eine ordentliche Wahlkampagne auf die Beine zu stellen, verausgabten sich die Kreml-Gegner in internen Zankereien. Jabloko gegen Parnas, Nawalny gegen Jablok, Parnas gegen alle.

Allein in der Teilrepublik Tschetschenien scheint die Demokratie noch zu blühen wie eh und je: Machthaber Ramsan Kadyrow sorgte dort dafür, dass weit über 80 Prozent der Tschetschenen ihre Stimme abgaben.


Gemischtes Doppel: Russland/Ukraine
Das Gemischte Doppel (v.l.): Ian Bateson (UA), Maxim Kireev (RU), Inga Pylypchuk (UA) und Simon Schütt (RU).

Das Gemischte Doppel gibt persönliche (Ein)-Blicke auf die Ukraine und Russland, geschrieben von Inga Pylypchuk und Ian Bateson (Ukraine) sowie Maxim Kireev und Simon Schütt (Russland).

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