Ist Russland jetzt der zuverlässigere Wirtschaftspartner?

Ost-Ausschuss-Kolumne: Ist Russland jetzt der zuverlässigere Wirtschaftspartner?

Betrachtet man die Ereignisse des vergangenen halben Jahres, dann muss man diese Frage wohl mit ja beantworten. Es ist frappierend, wie sich über mehr als sieben Jahrzehnte aufgebaute wirtschaftliche Verbindungen und Vertrauen in Luft aufzulösen scheinen.

Die geplanten neuen Sanktionen gegen die Russische Föderation, den Iran und Nordkorea sind dabei nur der vorläufige Höhepunkt einer langen Reihe von Zumutungen durch die USA, seit Präsident Trump im Amt ist.

Demokratie und Pressefreiheit haben uns die Amerikaner vermittelt

Ich bin mit einer tiefen Dankbarkeit gegenüber den Vereinigten Staaten aufgewachsen, nicht nur weil uns der Marshall-Plan davor bewahrt hat, heute alle Kartoffeln anbauen und Kühe züchten zu müssen.

Sondern vielmehr weil wir nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegende Determinanten unserer Gesellschaft wie Pressefreiheit, Menschenrechte, Marktwirtschaft, Liberalität und nicht zuletzt Teil einer Wertegemeinschaft zu sein, ganz wesentlich von den Amerikanern gelernt haben.

Etwas pathetisch formuliert, wurde uns gezeigt, wie man den amerikanischen Traum auch in Deutschland leben kann. Es hieß nur ein bisschen anders: Wirtschaftswunder.

Zählen Wirtschaftsinteressen mehr als Zusammenarbeit?

Was also ist in den vergangenen Wochen und Monaten passiert? Bricht sich jetzt Bahn, was als latentes Unbehagen schon viel früher existiert hat? Der Eindruck der Amerikaner, dass sie für ihre Beistandsgarantien und ihr Engagement von den Europäern nicht genügend gewürdigt werden? Sind Europäische Union und die Vereinigten Staaten viel mehr Wettbewerber als Partner?

All diese Fragen kann man in die eine wie in die andere Richtung diskutieren. Klar ist allerdings, dass die Verflechtungen zwischen den Volkswirtschaften zu vielfältig sind, um jetzt einfach den Hebel umzulegen und getrennte Wege zu gehen.

Klar ist auch, dass sich die Europäische Union nicht auf so plumpe Weise erpressen lassen kann und akzeptiert, dass die wirtschaftlichen Interessen der amerikanischen Öl- und Gaswirtschaft und anderer Branchen wichtiger sind als gemeinsames Handeln oder eine gemeinsame europäische Energiepolitik. Unabhängiger von russischen Energielieferungen zu werden meint nicht, sich einem anderen Monopolisten auszuliefern.

Prinzip der Abstimmung wäre aufgehoben

Jetzt also neue Sanktionen. Die Logik der in Rede stehenden Gesetze sieht vor, dass man die Sanktionsandrohungen als Mittel vorgeblich politischer Disziplinierung einsetzen kann. Es scheint aber offensichtlich, dass man sie auch einsetzen wird, sobald die Möglichkeit dazu besteht.

Damit ist nicht nur das Prinzip der abgestimmten Positionen in Bezug auf Sanktionsmaßnahmen gegenüber Russland aufgekündigt. Es wird auch ausgesprochen phantasielos Energie als Mittel zum eigenen – wirtschaftlichen – Vorteil verwendet.

Bisher wurde der russischen Seite stets vorgehalten, Energielieferungen, Preise, Pipelineprojekte, die Aussetzung von Lieferungen mit politischem Kalkül zu steuern und Energie als Waffe zu verwenden.

Wo ist der Unterschied, wenn man mit Hilfe extraterritorialer Strafandrohungen Projekte mit russischer Beteiligung verhindern will und so direkt ins Herz der europäischen und deutschen Wirtschaft trifft?

WTO, Klimaschutz, Welthandel

Es fällt in diesen politisch und emotional aufgeladenen und von Vorwürfen schwangeren Zeiten nicht immer ganz leicht, rationale Handlungsmuster zu extrahieren.

Aber jenseits aller Rhetorik und berechtigen Kritik am russischen Handeln muss man konstatieren, dass Russland in den vergangenen fünf Jahren der WTO beigetreten ist, das Pariser Klimaschutzabkommen ratifiziert hat, sich trotz eigener protektionistischer Tendenzen für freien und fairen Welthandel ausspricht, Normen und Standards mit internationalen harmonisiert und mit der Eurasischen Wirtschaftsunion eine Freihandelszone etabliert hat. Dass Russland ganz offensichtlich eine liberalere Wirtschaftspolitik betreibt, als es die Vereinigten Staaten im Augenblick tun.

Setzt euch zusammen und einigt euch!

Was ist die Konsequenz aus dieser Gemengelage? Eigentlich müsste die EU, sollten die Sanktionen in der geplanten Form eingeführt werden, adäquat reagieren. Im Klartext hieße das: Europäer sanktionieren Amerikaner, weil die Europäer sanktionieren, die mit Russen zusammenarbeiten, die ihrerseits Europäer und Amerikaner sanktionieren. Das klingt nicht nur schizophren, das ist es auch.

Aus Sicht der deutschen Wirtschaft und vornehmlich des Mittelstandes gibt es nur eine wirklich vernünftige Handlungsempfehlung an alle Beteiligten: Setzt Euch an einen Tisch und verhandelt bis eine Lösung gefunden wurde, die möglichst ganz ohne Sanktionen auskommt!


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu