Russischer Staatshaushalt: Wie die Regierung mit dem Ölpreiseinbruch umgeht

Der Einfluss des Ölpreisrückgangs auf den russischen Staatshaushalt wurde bislang über gesenkte Ausgaben aufgefangen. Weitere Maßnahmen sind umstritten

Nach dem Ölpreiseinbruch sparte Russland bei seinem Haushalt 2015 bereits deutlich, sodass das Haushaltsdefizit nur wenig höher als im Vorjahr lag. Anfang 2016 wuchs das Defizit nicht weiter an. In Russland wird derzeit aber kontrovers über weitere Maßnahmen diskutiert. Die Planung des Haushalts zieht sich schon über Monate und wurde auf Herbst vertagt. 

Der Ölpreiseinbruch macht sich auch im Haushalt der russischen Regierung schmerzhaft bemerkbar. Im ersten Quartal 2016 war der Urals-Preis mit rund 32 Dollar je Barrel rund 39 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. Die föderalen Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor sanken ähnlich stark. Sie nahmen nach vorläufigen Angaben der Economic Expert Group des russischen Finanzministeriums mit 992 Milliarden Rubel um rund 36 Prozent ab. Der Einbruch zog auch die gesamten Einnahmen im Föderationshaushalt mit einem Rückgang um rund 15 Prozent deutlich ins Minus.

Da die Ausgaben aber fast ebenso stark gesenkt wurden (-12 Prozent), war das Haushaltsdefizit nur wenig höher als vor einem Jahr. Die Defizitquote, der Anteil des Defizits am Bruttoinlandsprodukt, ging sogar etwas zurück auf 3,7 Prozent des BIP (1. Quartal 2015: 3,8 Prozent des BIP). Bei einer Inflationsrate von rund 8 Prozent war dies aber nur durch drastische Einsparungen möglich. Real dürften die Staatsausgaben um rund ein Fünftel gekürzt worden sein.

Unfreiwillig unabhängiger vom Energiesektor

Keine Einigung bei Treffen der Ölproduzenten in Katar
Solange der Rückgang der Anteile des Energiesektors preisbedingt ist, muss er durch Wohlstandsverluste bezahlt werden.

Angesichts des allseits beschworenen Ziels, die russische Volkswirtschaft stärker zu diversifizieren, also ihre Abhängigkeit vom Energiesektor zu verringern, mag mancher in dieser Entwicklung dennoch positive Aspekte erkennen. Der Anteil der Öl- und Gaseinnahmen an den gesamten Haushaltseinnahmen der Föderation fiel schließlich von rund 45 Prozent im 1. Quartal 2015 auf rund 34 Prozent. Gemessen am Wert des Bruttoinlandsprodukts erreichten die Öl- und Gaseinnahmen nur noch 5,2 Prozent des BIP. Vor einem Jahr waren es noch 8,6 Prozent.

Russland kommt so – wenn auch auf ungewollte Weise – zu mehr Unabhängigkeit vom Energiesektor. Solange allerdings der Rückgang der Anteile des Energiesektors preisbedingt ist, muss er durch Wohlstandsverluste bezahlt werden. Die angestrebte Diversifizierung der russischen Wirtschaft durch ein überdurchschnittliches Wachstum von Branchen außerhalb der Energiewirtschaft sieht anders aus.

Regierungsziel: Defizit bei 3 Prozent des BIP stabilisieren

Im letzten Jahr waren die föderalen Haushaltseinnahmen aus dem Öl- und Gassektor bereits um rund 21 Prozent gesunken. Bei rund 5 Prozent höheren Ausgaben stieg das föderale Haushaltsdefizit 2015 von 0,4 Prozent auf 2,4 Prozent des BIP. Das gesamtstaatliche Defizit (einschließlich der Haushalte der Regionen) verdreifachte sich von 1,1 Prozent des BIP auf 3,5 Prozent des BIP. Die gesamtwirtschaftliche Produktion ging dennoch 2015 um 3,7 Prozent zurück.

Der Ende 2015 beschlossene Haushalt für 2016 sieht vor, das Defizit im Föderationshaushalt bei 3 Prozent des BIP zu halten. Dabei wurde allerdings noch von einem Ölpreis von 50 Dollar pro Barrel ausgegangen. In den Anfang Mai veröffentlichten Projektionen der russischen Regierung zur sozio-ökonomischen Entwicklung wird jedoch inzwischen für den Planungszeitraum bis 2019 im Basisszenario von einem anhaltend niedrigeren Ölpreis von 40 Dollar je Barrel ausgegangen. Die Weltbank rechnet in ihrem Basisszenario in diesem Jahr mit einem Anstieg des gesamtstaatlichen Defizits von 3,5 Prozent des BIP auf 4,6 Prozent.

Eine Aktualisierung der Haushaltsplanung soll erst im Herbst erfolgen.

Meinungen zur russischen Finanzpolitik

Constantin Gurdgijev, aus Moskau stammender und am Trinity College der Universität Dublin lehrender Ökonom, erwartet, dass das Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf rund 4 Prozent des BIP steigen dürfte („Russian Deck Update“, 20.04.2016). Er bezeichnet die russische Finanzpolitik dennoch als „kontraktiv“ und „konservativ“. Sie sei darauf ausgerichtet, die angesparten Staatsfonds (Reservefonds und Wohlfahrtsfonds) möglichst weitgehend zu erhalten und wichtige Wählerschichten wie die Rentner möglichst wenig zu belasten. Neben weiteren signifikanten Einsparungen, bei denen Sozialausgaben aber nominal nicht gekürzt werden dürften, seien Steuererhöhungen und Privatisierungen erforderlich.

Die Ergebnisse der Bloomberg-Umfrage unter Ökonomen.

Bei einer Bloomberg-Umfrage meinten die befragten Analysten allerdings, eine lockerere Fiskalpolitik gehöre zu den am wenigsten geeigneten Maßnahmen mittelfristig mehr als 1,5 Prozent Wachstum zu erreichen. Sie empfahlen an erster Stelle wirtschaftliche Reformen, gefolgt von einer Verbesserung der Beziehungen mit dem Westen und einer Aufhebung der Sanktionen. 41 Prozent von ihnen meinten, der wichtigste einzelne Schritt zur Wachstumsbelebung sei eine beschleunigte Haushaltskonsolidierung. Für 17 Prozent war es die Privatisierung großer Staatsunternehmen. Die Ausgaben aus Mitteln des Reservefonds zu erhöhen, ist nur für 14 Prozent die wichtigste Maßnahme.

Präsidenten-Sprecher Dmitrij Peskov meinte gegenüber Journalisten am 10. Mai zu Berichten, das Wirtschaftsministerium habe vorgeschlagen, bei Gehaltserhöhungen zu sparen, dies sei nur einer der Vorschläge. Die Suche nach Maßnahmen zur Belebung des Wachstums und zur Optimierung der Haushaltsausgaben gehe weiter.

Budgetplanung zieht sich hin

Bei manchem westlichen Beobachter findet die seit Monaten andauernde Diskussion über eine Aktualisierung der Haushaltsplanung allerdings kein Verständnis mehr. Philip Hanson, emeritierter Professor der Universität Birmingham, spricht von „Kakophonie“. Er wirft der Regierung in einem Kommentar als Fellow des Londoner Royal Institute of International Affairs „Unentschlossenheit“ vor. Im Konflikt zwischen Austeritäts- und Stimulierungspolitik sei die Regierung nicht fähig, die Budgetplanung zu beenden. Die Haushaltsrevision sei zunächst von Januar auf April verschoben worden und jetzt auf Oktober. Die Schwäche der Regierung erinnere ihn an die letzten Jahre der Sowjetunion und Jelzins Zeit.

Nikola Stephan (DekaBank) verweist hingegen auf die „durchaus solide“ fiskalische Lage Russlands: „Die Staatsverschuldung liegt unter 15 Prozent des BIP, und die Mittel der fiskalischen Reservefonds würden für 2016 selbst dann für die Finanzierung des Budgetdefizits ausreichen, wenn die Regierung keine Budgetkürzungen gegenüber dem ursprünglichen Budgetentwurf vornimmt, der von einem durchschnittlichen Ölpreis von 50 Dollar pro Fass ausgeht. … Die Auslandsverschuldung des Privatsektors ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken, und auch die Kapitalabflüsse haben deutlich abgenommen, sodass die Währungsreserven weiterhin solide knapp unter 400 Milliarden US-Dollar liegen.“

[accordion open_icon=”remove” closed_icon=”plus”] [toggle title=”Quellen” open=”no”]

Nikola Stephan (DekaBank): Russland: Unterstützung vom Ölmarkt – bald auch von Zentralbank? 13.05.2016

TASS: Kremlin has no clearly defined position on optimizing budget expenditures yet; 10.05.2016

Andre Tartar, Ott Ummelas: Putin walks fiscal tightrope; deficits seen to 2020; Bloomberg, 06.05.16

Bank of Finland, BOFIT: Pressure on Russian government finances continues to increase; 04.05.16

Philip Hanson: Russia’s Economic Battles Expose Turmoil; Chatham House Comment, 28.04.2016

Constantin Gurdgiev (Universität Dublin): Russian Deck Update – April 2016; 20.04.2016

Lidia Kelly, Darya Korsunskaya: Russia urges fiscal discipline, tough task ahead; Reuters, 20.04.16

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