Ost-Ausschuss-Kolumne: Was wollen die Amerikaner eigentlich von uns?

Ost-Ausschuss-Kolumne auf Ostexperte.de: „Was wollen die Amerikaner eigentlich von uns?“

Von Jens Böhlmann, Kontaktstelle Mittelstand im Ost-Ausschuss


Sehr gute Frage; auf den ersten Blick und auf den zweiten immer noch und nicht leicht zu beantworten. Gestellt wurde sie in der evangelischen Akademie Loccum. Loccum? – ein Dorf im niedersächsischen Hinterland, idyllisch, fernab jeder hektischen Betriebsamkeit.

Ein geradezu idealer Ort, um sich der Frage zu widmen: „Was bedeutet uns Russland? Der europäische Deutungszwist über Putins Außenpolitik.“ Um in dieser Frage einen Erkenntnisgewinn zu erlangen, hatten sich die Teilnehmer aus ganz Europa und aus allen gesellschaftlichen Gruppen in Klausur begeben.

Angefangen von der historischen Dimension im Verhältnis Europas zu Russland über Cyberkriminalität, Aufrüstung, Militärmanöver bis hin zu Informationskrieg und Fake News reichten die Themen, um schließlich auch die ökonomischen Verwerfungen zu streifen. Kontroversen über die Wirkung und den Sinn von Sanktionen sind dabei nahezu unausweichlich.

Im Stellungskrieg der Überzeugungen

Und da war er wieder, der akademisch aufgeladene Diskurs, in dem Unternehmensvertreter und solche der Zivilgesellschaft regelmäßig aneinander scheitern, weil sie schneller als der Schall ihr gesamtes Arsenal an Vorurteilen gegeneinander in Stellung bringen. Die einen nehmen für sich die moralische und intellektuelle Deutungshoheit in Anspruch, die anderen beklagen das Unverständnis für ökonomische Notwendigkeiten.

Und so arbeitet man sich aneinander ab, im Stellungskrieg der Überzeugungen. Meine Hoffnung auf einen anderen Verlauf war entsprechend gering. Die unterschwellige Botschaft, dass Unternehmen sich nur für Profit und kaum je für die politischen oder gesellschaftlichen Folgen eines Konfliktes interessieren, stand auch dieses Mal wieder im Raum.

Gerade so, als hätten nicht alle Wirtschaftsverbände unisono immer wieder die Annexion der Krim und den Krieg im Osten der Ukraine verurteilt. Der Riss, der durch die Gesellschaft geht, wenn man das Verhältnis zu Russland zu definieren versucht, wurde auch hier sichtbar.

Verständnis wächst beim Zuhören

In der Chaostheorie können winzige Veränderungen gigantische Wirkungen haben. Ich kann nicht mehr genau rekonstruieren, was an diesem Tag der Auslöser war, aber mit einem Mal entspann sich eine lebhafte und konstruktive Diskussion über den Umgang mit Sanktionen und mögliche Wege zu ihrer Modifikation. Es wuchs in den Kombattanten das Verständnis für den Standpunkt des jeweils anderen.

Vielleicht auch deshalb, weil hinter dem abstrakten Sanktionsbegriff auf einmal ein deutscher Mittelständler sichtbar wurde, der die Verantwortung für sein Unternehmen und seine Mitarbeiter trägt, der sein privates Vermögen zum Wohle der Firma investiert und der kaum als Projektionsfläche für zügelloses Profitstreben ohne die Tugenden des ehrbaren Kaufmanns taugt.

Zum Gesamtbild gehört allerdings auch, dass es – singuläre – Forderungen nach Beibehaltung der Sanktionen über die nächsten Jahrzehnten und ihre Verschärfung gab.

Wer sanktioniert wen?

An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs in die Entstehungsgeschichte der im Umfeld des Ukrainekonfliktes eingeführten Sanktionen und deren Erweiterungen gestattet. Im März 2014 folgte als Reaktion auf die Annexion der Krim die erste Welle von Sanktionen gegen Personen und Institutionen, mit dem Beginn der Auseinandersetzungen im Donbass folgten weitere auch einzelne Branchen betreffende Maßnahmen, die russische Gegensanktionen zur Folge hatten.

Im Februar 2015 wurde die Aufhebung der Sanktionen an die Einhaltung des Minsker Abkommens geknüpft, mit dem die Eskalation der Gewalt beendet und eine politische Lösung gefunden werden soll. Alle geltenden Sanktionen sind mehrfach von allen Seiten verlängert worden und die Russische Föderation und die Ukraine verschärfen mit konstanter Regelmäßigkeit die Strafmaßnahmen.

Zwischenzeitlich sanktionieren sich die Russische Föderation und die Türkei und neben den Europäern haben auch die USA, Norwegen, Australien und Kanada Sanktionen eingeführt. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Sanktionen führen zu ökonomischen Verwerfungen

Was man aber deutlich sehen kann sind die Verwerfungen, die mit den Sanktionen einhergehen. Weißrussland ist zu einem der größten Lieferanten von Obst und Gemüse in Richtung Russland aufgestiegen und Meeresfrüchte stammen schon mal aus Kasachstan.

Russland nutzt den Zustand, um mithilfe protektionistischer Maßnahmen die eigene Wirtschaft zu stärken und Industriezweige, wie die Landwirtschaft und den Maschinenbau zu entwickeln, die bis dahin kaum konkurrenzfähig waren. Ob sie es nach dem Ende des Embargos sein werden, wird sich zeigen.

Sanktionen sollen politisches Handeln beeinflussen

Die Sanktionen, die die Europäische Union erlassen hat, waren und sind darauf angelegt, zeitlich begrenzt zu gelten und nur in Teilbereichen zu wirken. Eben, um den Handel nicht gänzlich zum Erliegen zu bringen und deutlich zu machen, dass ihre Einführung die Reaktion auf politisches Handeln und kein Wirtschaftskrieg ist oder Vorteile für die eigene Wirtschaft zum Ziel hat.

Deutsche Unternehmen brauchen offene Märkte

Und dann kam in der Diskussion die Frage: Was wollen die Amerikaner eigentlich von uns? Keine vierundzwanzig Stunden vorher war bekannt geworden, dass der amerikanische Senat neue Sanktionen gegen Russland und den Iran plant. Das Außergewöhnliche an diesem Vorstoß ist, das die Vorlage im Vorfeld nicht mit den Europäern abgestimmt wurde und, sollte sie so umgesetzt werden, direkten Einfluss auf europäische Unternehmen und Projekte haben würde.

Damit wäre der Sinn von Sanktionen als politisches Steuerungselement komplett ad absurdum geführt. Unter dem Vorwand, politisches Fehlverhalten zu sanktionieren, würde ganz eindeutig ökonomische Regulierung zum Vorteil der heimischen Wirtschaft betrieben.

Wenn dieses Beispiel Schule machen sollte, dann könnte, im vermeintlichen Interesse die eigene Bevölkerung zu schützen, jedes Land jedes sanktionieren. Gerade für die deutschen Unternehmen, die in besonderem Maße von freien und offenen Märkten abhängig sind und profitieren, wäre eine solche Entwicklung eine Katastrophe.

Gemeinsam neue Formen der Zusammenarbeit finden

Im Interesse des oben beschriebenen deutschen Mittelständlers, und in unser aller Interesse, ist es deshalb an der Zeit sich wieder darauf zu besinnen, dass Sanktionen nur ein sehr bedingt geeignetes Vehikel sind, um Änderungen herbeizuführen und wir gemeinsam neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln müssen.


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu