Wir machen auch in Euro wieder Gewinn!

Ost-Ausschuss-Kolumne: Wir machen auch in Euro wieder Gewinn!

Totgesagte leben länger. Es muss etwas dran sein an diesem Sprichwort, denn eigentlich gibt es nur wenige Gründe, warum sich die russische Wirtschaft stärker erholt, als selbst von den kühnsten Optimisten angenommen. Und die sitzen in aller Regel im russischen Wirtschaftsministerium. Um 2,7 Prozent hat das BIP im zweiten Quartal zugelegt, um 1,6 Prozent im ersten Halbjahr.

Spätestens seit Churchill wissen wir, dass sich Statistiken immer interpretieren lassen. Aber das russische Statistische Bundesamt war in den vergangenen Jahren immer erstaunlich offen, auch wenn es galt, negative Zahlen zu präsentieren. Deshalb darf man den veröffentlichten Zahlen durchaus Glauben schenken. Und einen Beweis, dass Churchill wirklich der Urheber des berühmten Zitats ist, gibt es schließlich auch nicht.

Woher kommt das Wachstum?

Woher also kommt das Wachstum? Der Ölpreis dümpelt bei 50 US-Dollar pro Barrel, der Rubel changiert bei 70 für einen Euro, die lange angemahnten und dringend notwendigen Wirtschafts- und Strukturreformen gibt es nicht. Die Bevölkerung hat weniger Geld zur Verfügung als 2014.

Allerdings ist es der Zentralbank gelungen, die Inflation tatsächlich auf die prognostizierten vier Prozent für 2017 zu senken und damit auf den niedrigsten Wert seit dem Zerfall der Sowjetunion. Das ist geradezu sensationell, denn noch vor zwei Jahren näherte sie sich eher einem Wert von 20 Prozent. Damals war der Leitzins bei 17 Prozent fixiert und machte eine Kreditaufnahme zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen nahezu unmöglich. Heute liegt er bei neun Prozent, mit der Erwartung einer weiteren Senkung im zweiten Halbjahr.

Der schwache Rubel fördert die Wettbewerbsfähigkeit

Wohin also muss man schauen, um das Phänomen zu erklären? Ökonomen sind für Stimmungen und Emotionen nicht sehr empfänglich, und dennoch sind sie eine Erklärung. In der jährlichen Umfrage zum Geschäftsklima für 2017 gab rund die Hälfte der Unternehmen an, dass sie mit einer positiven Wirtschaftsentwicklung rechnen.

Das ist insofern bemerkenswert, als dass es ein Jahr zuvor genau ein Prozent war. Noch mehr gilt diese Erwartungshaltung für die russische Bevölkerung, die – obwohl immer noch unter Währungsabwertung, Reallohnverlusten und Preissteigerungen leidend – optimistisch auf die Wirtschaftsentwicklung blickte und blickt.

Ein Effekt des schwachen Rubel ist jedoch, dass russische Produkte auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig oder konkurrenzfähiger geworden sind und damit der Export von Waren möglich wurde, an den vor der Krise nicht zu denken war. Diese Möglichkeit hat auch einigen lokalisierten Unternehmen geholfen, die schwache Binnennachfrage ein wenig auszugleichen.

Dass der russische Staat, an der Spitze Präsident Putin die Talsohle für durchschritten halten, machten sie bereits Mitte 2016 deutlich. Kann man also Wirtschaftswachstum erzwingen, wenn man nur fest genug daran glaubt? Sicher nicht.

Die Wirtschaft hat sich der Krise angepasst

Es sind viele kleine Faktoren, die das Gesamtbild erklären helfen. Verarbeitende Industrie, Handel, Bauwirtschaft, Transporte, Rohstoffförderung, Ernährungswirtschaft, Leicht- und metallverarbeitende Industrie und andere wachsen moderat und stetig. Allein die Landwirtschaft kann im Vergleich zum Vorjahr keine Steigerung aufweisen.

Das ist verwunderlich, da sowohl vom Staat als auch von der Privatwirtschaft erhebliche Summen in diesen Sektor investiert worden sind und die Sanktionen die Entwicklung der Branche enorm beflügelt haben. Neuerdings hört man in Russland erstaunlich oft: Mögen die Sanktionen noch lange Bestand haben, damit wir eigene Kapazitäten und konkurrenzfähige Produkte entwickeln können. Was nach den Sanktionen folgen wird, ist eine andere Frage.

Solide Politik der Zentralbank

Die strikte Haushaltsdisziplin und die smarte Geldpolitik der Zentralbank bilden die Grundlage für ein solides Wachstum in einigen Branchen. Hinzu kommt, dass durch Lokalisierung und Importsubstitution Wachstum befördert wurde. Aber auch die erstaunliche Anpassung der Gesamtwirtschaft an das von Sanktionen, mangelnder Binnennachfrage und Geldknappheit geprägte wirtschaftliche Umfeld lassen die Wirtschaft wieder wachsen.

Und letztlich tragen auch die unvermindert hohe Förderung von Öl und Gas, deren Export und die Erlöse in Devisen dazu bei, dass bei gleichzeitiger Währungsabwertung Sozialleistungen und Staatsdiener bezahlt werden können und das Defizit gering ausfällt. Jetzt zahlt sich aus, dass sowohl die Staatsverschuldung als auch die Schuldenlast der Unternehmen kontinuierlich abgebaut und Rücklagen gebildet wurden.

Bilateraler Handel steigt kräftig

All das trägt zum neu erwachenden Interesse an Russland bei, zumal auch die Handelszahlen eine sehr deutliche Steigerung aufweisen. Zuwächse von einem Drittel und mehr im bilateralen Handel gab es eigentlich nur in den Boomjahren 2007/ 08 und 2011/12. Wie lange dieses Wachstum vorhält, ist schwer zu prognostizieren. Da aber auch ausländische Direkt- und Bruttoanlageinvestitionen steigen, scheint es ein sich verfestigender Trend zu sein.

Übertriebene Euphorie ist trotzdem unangebracht, denn zwei oder maximal drei Prozent Wirtschaftswachstum bringen Russland nicht wirklich näher an das Niveau der Industriestaaten heran und für Steigerungsraten wie in China und Indien fehlt einfach die konsequente Umsetzung der Privatisierung und Modernisierung der Wirtschaft. Aber in einer weltwirtschaftlich schwierigen und politisch indifferenten Gemengelage rückt Russland wieder stärker in den Fokus der Unternehmen.

Deutsche Unternehmen optimistisch

Besonders die deutschen Unternehmen vor Ort rechnen mit einem starken Wachstum für das Gesamtjahr 2017. Knapp zwei Drittel erwarten Steigerungen bei Umsatz und Gewinn von 25 und mehr Prozent. „Wir sind in Rubel auch in den Jahren seit 2014 immer zweistellig gewachsen, aber seit dem dritten Quartal 2016 weisen wir auch in Euro wieder Gewinne aus“, so ein namentlich nicht genannt werden wollender Generaldirektor.

Diese Aussage steht stellvertretend für sehr viele Branchen. Dazu trägt auch die Entwicklung im Projektgeschäft bei. „Noch Mitte 2016 gab es keinerlei Nachfrage nach Dienstleistungen durch die russischen Öl- und Gasfirmen, aber mit Ende 2016, Anfang 2017 hat sich das grundlegend geändert. Der Markt zieht an und Investitionen in neue Projekte und neue Lagerstätten werden wieder getätigt“, beschreibt der Inhaber einer Hightech-Firma aus dem Bereich Öl und Gas den Markt.

Wenn Russland, dann jetzt

In den letzten Wochen und Monaten bin ich oft gefragt worden, ob es lohnt, sich wieder mit Russland zu beschäftigen und dem Markt trotz aller Schwierigkeiten mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Bei aller Vorsicht, mit der man solche Aussagen treffen muss, würde ich sagen ja.

Wenn es einen Zeitpunkt gibt, in Russland Fuß zu fassen und eine Marktlücke zu füllen oder ein Nische zu besetzen, dann jetzt. Denn eines ist klar, mit jedem Tag, den die russische Wirtschaft Zeit hat, sich in einem abgeschotteten Markt zu entwickeln, wird es schwieriger, noch erfolgreich einzusteigen.


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu