Morgenkommentar am 15. Juni 2017

Von Oliver Stones Interviewzyklus mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, dessen vierter und letzter Teil in dieser Woche durch die amerikanischen Kabelnetze geht, haben alle etwas. Jeder pickt sich die Perspektive, die ihm behagt.

Die liberalen Putin-Gegner sehen einen weiteren westlichen B-Promi, der die unkorrekte, verräterische Putin-Nähe kritiklos dazu nutzt, ins Rampenlicht zu gelangen.

Die US-Neokonservativen (und viele der europäischen Transatlantiker) können nun noch sicherer sein, dass Russland sich jedenfalls unter Putin der Welt-Werte- und Sicherheitsarchitektur nach westlichem Gusto weiterhin standhaft verweigern wird.

Die Gegner der US-Neokonservativen wiederum, Männer wie Michael Moore oder Bernie Sanders, zu denen auch Oliver Stone zu rechnen ist, sehen in Putin (neben China, das aber nicht recht zu greifen ist) die eine große Hoffnung auf Widerstand gegen die “One World” – die unipolare, von amerikanischem Exzeptionalismus geprägte Welt. Das Interview gibt ihnen den Stoff, aus dem ihre Träume sind.

Wladimir Putin schließlich hat auch etwas davon. Die Ausstrahlung des vierten Interviews markiert den internationalen Start seines Präsidentschaftswahlkampfes 2018. Den nationalen, russischen, läutet der heutige Telefonmarathon zwischen Präsident und Volk ein. Die Stone-Mischung aus amerikanischem Show-Professionalismus und der knallharten Disziplin russischer Realpolitik geht jedenfalls unter die Haut. Propaganda vom Feinsten, großes Kino – anders als Martin Schulz, wenn er beim Parteitag treuherzig zum lieben Gott aufblickt und sich dort für die 100 Prozent bedankt.

Nun ist ein inszenierter Wahlkampfstart das eine – die eigentlichen Prüfungen stehen noch aus.  Zumal völlig offen ist, ob der einzig reale Gegenkandidat, Alexej Nawalny, überhaupt antritt. Besser gesagt: ob man ihn antreten lässt und, wenn nicht, mit welchem Grund und welchen Konsequenzen. Bis März 2018 fließt noch viel Wasser die Moskwa hinab.