Morgenkommentar am 23. Februar 2017

Der autoritäre Staat, feingetunt: Ildar Dadin, bislang einzig Verurteilter unter dem 2014 eingeführten Paragraph 212.1 des Russischen Strafgesetzbuchs, wird entlassen und rehabilitiert. Also nicht nur begnadigt. Das entschied gestern höchstinstanzlich der Oberste Gerichtshof in Moskau.

2015 war der 34-jährige Oppositionelle zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der Fall hatte international für Aufsehen gesorgt – schließlich stellt der neue Tatbestand schon die mehrfache Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen unter Strafe. Anders als die “üblicherweise” angewandten Paragraphen – etwa Ordnungsstörung oder Attacken gegen Staatsdiener – setzt er nicht einmal die Idee eines “Schadens” voraus, ist also eindeutig politisch. Für Amnesty International oder Anfang 2016 für das Europaparlament war die Causa Dadin ein gefundenes Fressen: Russland ohne Maske.

Dadins Rehabilitation steht im Kontext der Präsidentschaftswahlen im März 2018.  Putinkritiker und -gegner vor allem unter den Moskauer und St. Petersburger Mittelschichten gibt es zuhauf. Die wissen aber auch, dass die übergroße Mehrheit im Lande den jetzigen Präsidenten weiter im Amt sehen will. Anders als etwa in Deutschland ist die gesellschaftliche Atmosphäre keineswegs auf einen Wechsel an der Spitze gerichtet.

Umso wichtiger muss es dem Kreml sein, dass liberal-oppositionelle Elektorat nicht unnötig zu provozieren – wie etwa Ende 2011 mit der kruden Manipulation der Dumawahlen. Überschießender Autoritarismus, der Märtyrer wie Ildar Dadin schafft, zeitigt gerade die entgegengesetzten Ergebnisse. Das offizielle Moskau wird also alles versuchen, um die Stimmung im Land so unpolitisch wie möglich zu halten. Das liberale Fünftel soll seine Freiheiten genießen – auch die Meinungsfreiheit! – und ansonsten resigniert zuschauen, wie die Mehrheit ihren Präsidenten akklamiert.

Die Rechnung könnte aufgehen. Sie muss es aber nicht. Zwölf Monate sind lang.