In Russland wird „Halal“ zum Beauty- und Pharma-Trend

Halal entwickelt sich zum Beauty- und Pharma-Trend

Früher verkaufte man als halal gekennzeichnete Kosmetik und Arzneimittel in Russland nur auf orientalischen Märkten. Doch mittlerweile überschreitet die Branche ihre Nische.

Es ist nicht weiter der Rede wert, wenn ein neuer Nagellack auf den Markt kommt. Das passiert schließlich ständig. Laut den einschlägigen Beauty-Trends sollen wir Frauen unsere Nägel derzeit bevorzugt graphisch stylen und mit Nagelfolien designen, aber eine wirkliche Innovation sind die aktuellen Nuancen nicht. Der Lack, den die polnische Marke Inglot schon seit drei Jahren vertreibt, hingegen schon. Das Besondere daran: der Lack ist halal.

Halal ist nicht nur auf Essen beschränkt

Halal bedeutet „erlaubt“. Dieser ethische Grundsatz in der islamischen Religion gilt nicht nur für Nahrung, sondern auch für Hautpflegeprodukte und Arzneimittel. So unterliegen die zertifizierten Kosmetika strengen hygienischen Vorschriften und dürfen nur bestimmte Alkohole enthalten.[1]

Erst dann sind sie halal: fair, organisch und vegan. Ähnlich wie beim V-Label für vegane Produkte werden sie durch ein Halal-Siegel gekennzeichnet. Diese Transparenz ist die Qualitätsgarantie der Ware – nicht nur für muslimische Beauty-Queens, sondern auch für Konsumenten, die bislang nichts von Halal-Kosmetik gehört haben.

Konzerne erkennen Potenzial des Halal-Markts

Das Potenzial des Halal-Kosmetikmarktes haben auch BASF, Unilever, Symrise und L’Oreal für sich entdeckt. Die Konzerne ließen sich bereits einige Inhaltsstoffe und Produkte zertifizieren. Die Branche wächst auf globaler Ebene.

Laut dem Bericht “State of Global Islamic Economy 2016/17”, der von Thomson Reuters und Dinar Standard herausgegeben wird, beträgt der Umsatz dieses Marktes weltweit 56 Milliarden US-Dollar. 2015 verzeichnete er ein Wachstum von rund 4% im Vergleich zum Vorjahr.

Weltweit steigt die Anzahl der Muslime

Antreiber dieser rasanten Entwicklung ist die steigende Anzahl der Muslime weltweit und das Verlangen nach ethischem Konsum. Neben dem Nahen Osten und den arabischen Ländern finden Halal-Kosmetikprodukte vor allem Abnehmer in Asien, zum Beispiel in Malaysia, Indonesien und Indien.

Auch Russland bleibt nicht auf der Strecke. Experten in dem oben genannten Bericht taxieren den Umsatz des russischen Marktes mit seinen rund 20 Millionen Muslimen [2] auf 3,5 Milliarden US-Dollar. Damit nimmt Russland im Segment Kosmetik den zweiten Platz zwischen wachsenden Halal-Märkten wie Indien, Indonesien, Malaysia und der Türkei ein.

Russische Nischenmarken

Große Unternehmen wie Colgate Palmolive, Inglot, Symrise, L’Oreal und Henkel produzieren schon lange Halal-Kosmetika in OIC-Ländern (“Organisation of Islamic Cooperation”) sowie in Asien, insbesondere in Indonesien und Indien. In Russland noch nicht. Aktuell wird der russische Markt von den Herstellern Amara Cosmetics (USA), Inika Cosmetics (Australien), Iba Cosmetics (Indien), One Pure (Kanada) und Milla Halal Cosmetics (Kroatien) bedient. Diese Waren werden häufig via Amazon, AliExpess oder im Einzelhandel verkauft.

Die russischen Nischenmarken im Bereich Halal-Kosmetik rücken dennoch ins Rampenlicht. Zum Beispiel die Marke Halal Cosmetics: Sie ist erst vor anderthalb Jahren gestartet – und zeigt schon jetzt steigenden Umsatz. Gründerin Lola Gadschiewa verrät uns die Zahlen nicht. Doch sie behauptet, dass ihr Geschäft seit dem zweiten Geschäftsjahr profitabel sei. Halal Cosmetics hat zwei Produktionsstandorte in Noworossijsk und Derbent sowie sechs Vertretungen in Grosny, Machatschkala, Ufa, Naltschik, Nabereschnyje Tschelny und Simferopol. Außerdem exportiert das Unternehmen seine Produkte nach Jordanien, Kasachstan und Kirgistan.

Zahnpasta-Hersteller Splat produziert halal

2015 hat auch das russische Unternehmen Splat, das sich auf professionelle Mundpflegemittel spezialisiert, das Halal-Siegel erhalten. In Russland hat Splat einen Anteil von 17,2 Prozent auf dem Zahnpasta-Markt, sagt Gründer Jewgenij Demin. „Splat hat das Augenmerk von Anfang an auf hohe Qualität und Produktinnovation gelegt.

Wir stellen reine alkoholfreie Produkte ohne Tiere her und lagern bzw. fertigen die Rohstoffe separat. Wir mussten unseren Produktionsablauf kaum verändern, damit unsere Produkte als halal gelten”, sagte er weiter. Der Gründer von Splat bemerkt eine steigende Nachfrage nach halal-zertifizierten Produkten – nicht nur in Russland, sondern auch in Europa.

Reinigungs- und Pflegemittel sowie Medikamente

„Internationale Konzerne, die Ihre Waren mit einem Halal-Zertifikat anbieten, fehlen aber noch“, sagt Isa Barkhaew, Geschäftsleiter der Vereinigung für Entwicklung der Halal-Industrie (russisch: Ассоциация по развитию халяль-индустрии, АРХИ). Er ist überzeugt, dass viel mehr Erzeuger auf den Zug aufspringen werden, da Halal-Kosmetik eine wichtige Nische in Russland sei.

“In kürzester Zeit wird sich der Halal-Markt rasant weiterentwickeln. Jetzt ist es hauptsächlich die Lebensmittelindustrie, in der regionale Märkte starke Präsenz haben, aber ich sehe, wie die Nachfrage im Bereich Reinigungs- und Pflegemittel sowie Medikamente steigt”, so Barkhaew. Der Grund liege ihm zufolge im Wandel der Lebensweise der Kunden, die gesund und bewusst leben wollen.

„Halal-Produkte spiegeln bestimmte Sicht- und Verhaltensweisen des eigenen Glaubens wider. Die Produktion muss ständig erneut zertifiziert werden und unterliegt somit einer strengen Beobachtung. Zudem gelten Halal-Produkte als sehr rein und sind daher interessant für die Vermarktung“, erklärte Barkhaew weiter.

Kein einheitlicher Zertifizierungsstandard

Deutschland gilt schon jetzt als der wichtigste Exportpartner für Inhaltsstoffe der Körperpflege- und dekorativen Kosmetik nicht nur für Europa und die OIC-Länder, sondern auch für Russland. Schon Anfang 2016 erhielt BASF die Halal-Zertifizierung für 145 Inhaltsstoffe. Auch Symrise ist in den Markt eingestiegen.

Wie viele Menschen genau von Allah erlaubte Rezepturen in Russland kaufen wollen, können die zwei Unternehmen aber nur bedingt sagen. „Halal ist noch keine feste Größe auf dem russischen Markt. Die Anfragen nach halal-zertifizierten Produkten sind niedrig und beziehen sich meistens auf Rohstoffe. Wir beobachten aber, dass der Markt ein Wachstumspotenzial hat“, sagt Christina Witter, Pressesprecherin von Symrise.

Zertifizierer in muslimischen Regionen

Das Problem liege laut Witter darin, dass es noch keine international akkreditierte oder anerkannte Halal-Zertifizierung in Russland gebe. “Die Herausforderung der Zertifizierung ist, einen Zertifizierer zu finden, der in muslimischen Regionen wie Tschetschenien, Dagestan, Tatarstan oder Inguschetien anerkannt wird. Ein einheitlicher Standard, dem sich auch diese Regionen anschließen können, wäre aus unserer Sicht eine sehr sinnvolle Lösung für die international tätigen Halal-Zertifizierer und die exportierenden deutschen Unternehmen”, so Witter.

Isa Barkhaew hingegen ist davon überzeugt, dass dies nur eine Ausrede sei. „Die deutschen Unternehmen können die Zertifizierung in ihrer Heimat machen, und das Zertifikat in Russland einfach anerkennen lassen. Außerdem vertraut die russische Bevölkerung den deutschen Marken sogar mehr, als den eigenen.“

Nachfrage nach Halal-Medikamenten steigt

Kirill Skogorew, Gründer der Ausstellung Moscow Halal Expo, hält das Problem mit der Zertifizierung dennoch für relevant: „Dieses Problem ist global. Da die INCI-Deklaration der Ingredienzien keine Rückschlüsse über die Einhaltung spezieller hygienischer und ethischer Herstellungsvorschriften zulässt, ist für Halal-Kosmetik eine Zertifizierung besonders wichtig. In Russland arbeiten wir zusammen mit russischen Zertifizierungszentren und dem Landwirtschaftsministerium an einer Charta, bei der die Anforderungen an die Halal-Produktion in allen Regionen von Russland genau definiert werden.” Für Skogorew gilt es als sicher, dass sich die deutschen Unternehmen auf dem russischen Halal-Markt nicht nur in der Kosmetikindustrie etablieren könnten, sondern auch in der Pharmazie.

“Enthält das auch nichts Tierisches?” – In der Apotheke wird man damit konfrontiert, dass Menschen immer mehr auf bestimmte Arzneimittel verzichten. Deswegen hat das russische Pharmaunternehmen BASS vor drei Monaten eine Apotheke für Muslime in Sankt-Petersburg eröffnet, in der das Personal Kopftücher trägt und halal-konforme Medikamente angeboten werden. Statt Hustentropfen mit Alkohol sind dort alkoholfreier Saft oder Tabletten erhältlich, die auch von Kindern oder Menschen eingenommen werden können, die generell auf jeglichen Alkoholkonsum verzichten müssen.

Auch Bayer, Merck und Berlin-Chemie mischen mit

Auf dem Regal in dieser Apotheke mit Halal-Arzneimitteln sind auch deutsche Marken zu sehen: Bayer, Merck oder Berlin-Chemie, die schon das international anerkannte Halal-Siegel auf ihren Produkten tragen. Alle Medikamente hat das Unternehmen BASS zusammen mit den bedeutendsten Zertifizierungszentren geprüft. Und das ist nur der Anfang: Die erste Halal-Apotheke hat eine Stammkundschaft aufgebaut. Eduard Zakhrabekow, Präsident von BASS, hat vor, noch eine Apotheke für Muslime unweit der U-Bahn-Station “Pionerskaja” zu eröffnen.

Die Branche der pharmazeutischen und halal-zertifizierten Erzeugnisse entwickelt sich positiv in Russland und erreichte 2015 einen Umsatz von 2,8 Milliarden US-Dollar (in der Türkei sind es zum Vergleich 9,1 Milliarden US-Dollar, in Saudi-Arabien 6,1, in Indonesien 5, in Algerien 3,6 und im Iran 2,7). „Doch in Russland fehlen Unternehmen mit Forschungs- und Entwicklungsinitiative. Die eigene Zulieferindustrie ist kaum entwickelt. Daher müssen viele moderne Medikamente importiert werden. Die Halal-Pharmabranche in Russland bleibt offen für neue Spieler“, so Kirill Skogorew.

Titelbild

[1] Die halal-zertifizierte Kosmetik darf keinerlei tierische Produkte enthalten, also beispielsweise weder Honig noch Bienenwachs, weder Keratin (in Shampoo) oder Seidenprotein (in Make-up), weder Gelatine (aus Knochen und Sehnen von Schweinen und Kühen) noch Lanolin (Wollfett). Eine komplette Liste tierischer Inhaltsstoffe ist bei Peta Deutschland zu finden (unter www.peta.de/inhaltsstoffe). Auch Alkohol und diverse chemische Zusatzstoffe sind nicht erlaubt.[2] Offizielle Statistiken über die muslimische Bevölkerung in Russland existieren nicht. Die staatlich genannten Zahlen basieren auf Zählungen der ethnischen Gruppen, die als muslimisch gelten. Vor diesem Hintergrund gehen die Schätzungen teilweise weit auseinander. Gemäß den Daten der Volkszählung in Russland von 2002 umfassten damals die Bevölkerungsgruppen Russlands, die vorwiegend muslimischen Glaubens sind, ca. 14.5 Millionen Menschen. Ethnische Muslime machen hiernach also ca. 10% der russischen Gesamtbevölkerung aus. Neuere Schätzungen von nicht offiziellen Stellen gehen hingegen von 18 bis 22 Millionen Muslimen aus, was wiederum 12% bis 15% der russischen Bevölkerung entspräche.