Gemischtes Doppel #49: Große Russen, kleine Russen?

Kolumne: Gemischtes Doppel #49 – Große Russen, kleine Russen?

Die Separatisten im Donbass rufen plötzlich einen neuen Pseudostaat auf: „Kleinrussland“. Der Kreml distanziert sich, die Ukrainer lachen, die Experten rätseln. Inga Pylypchuk sieht darin eine klare Botschaft an die Bewohner der besetzten Gebiete.

Von Inga Pylypchuk, n-ost


Liebe Leserinnen und Leser,

vielleicht haben Sie es noch nicht mitbekommen: In Europa wurde gestern ein neuer Staat ausgerufen. Es soll “Malorossija“ – “Kleinrussland” – heißen und die heutige Ukraine ersetzen. Seine Hauptstadt soll Donezk sein. Davon ist zumindest Alexander Sachartschenko, der Chef der international nicht anerkannten „Volksrepublik Donezk“ überzeugt, der gestern mit seiner provokanten Ankündigung an die Öffentlichkeit getreten ist.

Darin behauptete er, Vertreter aus 17 Regionen der Ukraine, inklusive Kiew, seien mit dieser Lösung einverstanden. Doch selbst der Sprecher der benachbarten “Volksrepublik Luhansk“ gab an, er höre von Plänen für “Kleinrussland” zum ersten Mal.

Sachartschenkos Aktion macht die Experten ratlos – in der Ukraine und anderswo. Wollen die Separatisten nun doch mit dem Rest der Ukraine friedlich unter einem Dach leben? Offenbar wollen sie sogar, laut Sachartschenkos Anküdigung, neben Russisch „Kleinrussisch“ sprechen. Also Ukrainisch.

Wer sendet hier an wen eine Botschaft: Die „Volksrepublik Donezk“ an den Kreml? Der Kreml durch Sachartschenko an die Ukraine und ihre westlichen Partner? Inzwischen tat Putins Pressesprecher Sachartschenkos Vorstoß als “persönliche Initiative” ab, der Kreml stehe weiterhin für den Minsker Friedensplan.

Rebranding: Aus Raider wird Twix

Doch war es wirklich nur eine Privataktion? Vielleicht will der Kreml Sachartschenko diskreditieren und beseitigen, wie der ukrainische Politikwissenschaftler Olexij Garan vermutet. Oder aber: Der Kreml will ein Rebranding seines Ostukraine-Projekts. Aus Raider wird Twix, und “Neurussland” heisst jetzt “Kleinrussland”.

Unter der Fahne “Neurusslands” sollten sich 2014 die vermeintlich abtrünnigen Gebiete der östlichen Ukraine vereinen: Donezk, Luhansk, Charkiw, Dnipropetrowsk, Odessa. Doch das Projekt ist längst gescheitert, heute halten von Moskau unterstützte Kämpfer nur Teile der Gebiete Donezk und Luhansk besetzt. Was soll dann der neue Name bringen?

Medien berichten über Kleinrussland

Für die meisten Ukrainer klingt Sachartschenkos Ankündigung ohnehin wie ein später Aprilscherz. Er habe sich “ein Ablenkungsmanöver ausgedacht, um ganz Ukraine lahmzulegen: Wir sollen uns vor Lachen krümmen und nicht arbeiten”, schrieb ein ukrainischer Twitter-User. Aber während sich die meisten Ukrainer fragen, welche Drogen Sachartschenko wohl nimmt, entfalten seine Worte im Ausland eine ganz andere Wirkung.

Viele deutsche Onlinemedien, auch solche, für die Ukraine lange kein Thema war, berichteten plötzlich über „Kleinrussland”. Nur ein paar Stunden nach der Ausrufung dieses neuen Pseudostaats verurteilte eine Sprecherin der Bundesregierung Sachartschenkos Worte als „völlig inakzeptabel.“ Auf den ersten Blick ist es nicht verkehrt, einen derart hochprozentigen Blödsinn zu verurteilen. Und doch wäre es wohl klüger gewesen, ihn einfach zu ignorieren.

Hybrider Krieg gegen die Ukraine

Denn genau so, durch ablehnende Statements von Regierungssprechern und durch Überschriften in Onlinemedien, erreicht die Provokation ihr Ziel. Sachartschenkos Plan klingt nicht mehr wie ein Hirngespinst des Chefs einer russischen Marionettenregierung. Seine Provokation ist echte Nachricht geworden.

Und Sachartschenko selbst wird damit als politischer Akteur anerkannt. Ukraine ist doch nichts weiter als ein „failed state“, will uns die Nachricht sagen. Machen sich die Medien so zum Handlanger Putins in seinem hybriden Krieg gegen die Ukraine?

Trotz der unzähligen Interpretationen glaube ich, dass Sachartschenkos Worte nur eine klare Botschaft haben. Und zwar an die Menschen im Donbass: Egal wie man euch nennt, ob Neu- oder Kleinrussland, echte Russen seid ihr nicht. Dem Kreml seid ihr völlig egal. Russland will eure Heimat weiterhin als Kriegsgelände nutzen, um die Ukraine zu destabilisieren. Weiterreichende Pläne hat es nicht.

„Malorossy“, “Kleinrussen”, wurden die Ukrainer übrigens im Russischen Reich genannt. Das klingt noch immer beleidigend – auch im Donbass.


Im Gemischten Doppel geben Inga Pylypchuk (Ukraine) und Maxim Kireev (Russland) im wöchentlichen Wechsel persönliche (Ein)-Blicke auf ihre Heimatländer.

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