Gemischtes Doppel #32: Neue Helden braucht das Land!

Kolumne: Gemischtes Doppel #32 – Neue Helden braucht das Land!

Heute ist der 22. März 2017, willkommen beim Gemischten Doppel. Diesmal Maxim Kireev (RU): Eine russische Schuldirektorin will ihren Schülern eine Lektion in Vaterlandsliebe erteilen. Aber irgendetwas stimmt mit diesen Schülern nicht.

Von Maxim Kireev, n-ost


Liebe Leserinnen und Leser, darf ich vorstellen?

Seit ein paar Tagen hat das „Runet“ (das russische Internet) ein paar neue Helden. Keine Soldaten, keine Separatisten, auch keine Kosmonauten. Die Rede ist von Schülern aus dem Umland von Brjansk, einer Stadt ganz im Westen des Landes.

Vergangene Woche legten sich diese mit einer Übermacht aus zwei Lehrern und der Schuldirektorin an. Es ging um die Grundfesten der russischen Politik: die Krim, die USA, Wladimir Putin und seinen Gegner Alexej Nawalny.

Die Mär vom umzingelten Russland

Und die Jugendlichen machten eine überraschend gute Figur, obwohl ja die russische Jugend allgemein wenn nicht als linientreu, so doch als generell unpolitisch gilt. Doch die Mär vom starken und umzingelten Russland, das wegen seiner erfolgreichen Außenpolitik angefeindet werde, wollten sie dem Lehrpersonal nicht abnehmen. Stattdessen filmten die Schüler das Gespräch und stellten es später ins Netz. Inzwischen gibt es das Ganze auch auf Englisch.

Über eine Million Menschen haben das Video inzwischen gesehen – auch weil Nawalnys Wahlkampfteam es eifrig verbreitete. Dabei begann alles mit einem harmlosen Post im VK-Profil von Maxim Losjew, Schüler in der unweit von Brjansk gelegenen Siedlung Pogar.

Polizei holt Schüler zu einem „klärenden Gespräch“ ab

Er teilte die für Ende März angesetzte Demo von Anhängern Nawalnys in Brjansk – auch unter den heutigen Bedingungen in Russland kein großes Ding. Die örtliche Polizei sah das jedoch anders und holte Maxim direkt von der Schule zu einem „klärenden Gespräch“ ab.

In seiner Klasse übernahmen dieselbe Aufgabe nun die Schuldirektorin Kira Gribanowskaja und zwei weitere Lehrer. Ihre Botschaft: Nawalny ist ein Provokateur, an Russlands Wirtschaftskrise sei nur der Westen schuld, während Putin außenpolitisch alles richtig mache.

Keine neue Generation von Revoluzzern

Doch zum Ärger des Schulpersonals und zur großen Freude der Internetgemeinde ließen sich die Schüler darauf nicht ein. Stattdessen stellten sie sich auf die Seite ihres von der Polizei verhörten Freundes. Die rhetorischen Tricks ihrer Lehrer ließen sie cool abblitzen, etwa mit der Replik: „Wir wollen eine Regierung, die sich um die normalen Bürger sorgt und nicht um eigene Millionen“.

Das heißt nicht, dass unter Russlands Schülern eine neue Generation von Revoluzzern heranwächst. Und niemand garantiert, dass diese Kids in zehn oder 15 Jahren nicht das nächste Regime aufs eifrigste verteidigen werden. Schließlich hielt ich selber mit 14 noch den Sozialismus für eine dufte Idee, die nur schlecht umgesetzt wurde. Doch das eigentlich Interessante ist, dass die Schüler besser über die Lage im Land informiert sind als ihre erwachsenen, hochschulgebildeten Gesprächspartner.

Versatzstücke aus dem Propaganda-Fernsehen

Ihre Hilflosigkeit offenbart sich darin, dass sie für die eigene Position keine Argumente finden. Mal reiten Gribanowskaja und ihre Kollegen darauf herum, dass ihre Schüler ja gar nichts wüssten und gar keine eigene Meinung haben könnten.

Dann wiederum erzählen sie recht lose zusammenhängende Versatzstücke aus dem russischen Propaganda-Fernsehen nach: die russische Krim, die böse EU, amerikanische Soldaten in der Ukraine. Doch die Kinder informieren sich, im Gegenteil zu ihren Lehrern, längst im Internet. Dort ist die russische Präsenz in der Ukraine recht gut dokumentiert. Im Gegensatz zur amerikanischen.

„Natürlich schwächelt“ Putins Innenpolitik

Die Episode offenbart auch, wie leichtfertig die Lehrer jeglichen Respekt aufs Spiel setzen, den ihre Schüler für sie noch übrig hatten. Ein Zustand, der viele Russen an die späten Jahre der Sowjetzeit erinnern dürfte, als das alte System nach außen noch funktionierte, im Inneren jedoch von keinem mehr ernst genommen wurde.

Und so verwundert es nicht, dass die Direktorin gerade in der Innenpolitik ins Schwimmen gerät. Da rutscht ihr heraus, dass Putins Innenpolitik „natürlich schwächelt“. Warum, fragt sie, und beantwortet die Frage gleich selbst: „Weil kein Geld da ist!“.


Im Gemischten Doppel geben Inga Pylypchuk (Ukraine) und Maxim Kireev (Russland) im wöchentlichen Wechsel persönliche (Ein)-Blicke auf ihre Heimatländer.

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