Gemischtes Doppel #30: Alle sind korrupt! Na und?

Kolumne: Gemischtes Doppel #30 – Alle sind korrupt! Na und?


Liebe Leserinnen und Leser,

vor wenigen Tagen ließ Alexej Nawalny eine echte Bombe platzen. Die Rede ist von seinem Film über Premierminister Dmitrij Medwedjew. „Im Netz verspottet man ihn ja nur als „Dimon“, und Sie haben ihn bestimmt nicht für einen heimlichen Bösewicht und Milliardär gehalten“, wendet sich der Oppositionelle, der bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen Putin herausfordern will, zu Beginn an seine Zuschauer. Sollten Sie aber, möchte man hinzufügen.

Es folgen 45 Minuten, vollgestopft mit Informationen über Medwedjews korruptes Netzwerk. Kurz zusammengefasst verfügt der Regierungschef über Villen, Yachten und Weingüter im Wert von hunderten Millionen Dollar. Möglich sei das alles, weil seine reichen Freunde Geld in Stiftungen überweisen, denen diese Objekte de jure gehören. De facto jedoch, und das zeigt Nawalnys Film, stehen sie Medwedjew zur Verfügung.

Wer sich noch an die Kreditgeschichte erinnert, die Christian Wulff zu Fall brachte, der weiß, wie so etwas in einem normalen Land endet. Aber hey, wir sind hier in Russland – und nicht in irgendeiner europäischen Bananenrepublik!

Wer hierzulande Macht hat, der verdient auch ein standesgemäßes Leben. Deswegen scheut sichWladimir Putin nicht davor, in einem Sportanzug vor der Kamera zu posieren, der mit 3000 Euro knapp das Fünffache eines russischen Durchschnittsgehalts kostet. Ein Freund, der bei einer Petersburger Luxusboutique arbeitet, kommentierte Putins Anzug dereinst so: „Sowas, lieber Maxim, leistet sich doch jeder halbwegs wichtige Provinz-Beamte.“

Und selbst die kremlkritische „Nowaja Gaseta“ stellt nun als wichtigste Erkenntnis aus Nawalnys Film heraus, dass Medwedjew tatsächlich der zweite Mann im Lande ist. Kein anderer Politiker unter Putin verfüge über dermaßen weitreichende eigene Ressourcen und Netzwerke.

Ein ums andere Mal bleiben Nawalnys Enthüllungen ohne Folgen für die Zielscheiben seiner Filme, obwohl etwa den Medwedjew-Film innerhalb von sechs Tagen allein auf Youtube 6,5 Millionen Menschen gesehen haben. Dank des Oppositionellen wissen wir mittlerweile,

1.dass die Kinder des Generalstaatsanwalts Jurij Tschaika ein florierendes Unternehmensimperium aufgebaut haben.
2.dass der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu in einer opulenten Villa in chinesischem Stil wohnt.
3.dass der Vizepremier Igor Schuwalow seinen Welsh-Corgi-Rassehund zu Auftritten mit einem Privatjet fliegen lässt.

Dass die Russen das alles schlucken, bedeutet aber nicht, dass es sie nicht empört. Jeder, der das Thema Korruption mit einem russischen Taxifahrer anschneidet, wird stundenlange Hasstiraden zu hören bekommen. Laut Denis Wolkow, Soziologe des Lewada-Instituts, glauben fast drei Viertel der Russen, dass der Staatsapparat in bedeutendem Maße von Korruption zerfressen ist. Und dennoch ist das Bewusstsein tief verankert, dass eben alle Politiker korrupt sind. Ja dass Korruption und Politik beinahe Synonyme sind. Weshalb also die gewohnten Diebe durch neue austauschen?

Und so können Korruptionsvorwürfe wie jene aus Nawalnys Film sicher nicht zum Auslöser für neue Proteste werden. Als Dünger taugen sie aber doch. Wenn zum Beispiel die Machthaber ihre heutige Popularität durch ein Ereignis in der Zukunft verspielen. Das zeigt das Beispiel des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, an das auch Wolkow erinnert. Auch in der Ukraine haben dessen Anwesen und der berühmt-berüchtigte zwei Kilogramm schwere goldene Brotlaib kaum jemanden interessiert. Bis der Ukrainer mit seiner Wende in Sachen Europa und seiner Gewalt gegen Demonstranten große Teile der Bevölkerung verprellte.

Plötzlich war jedes Korruptionsdetail wichtiger denn je. Auch in Russland gäbe es, wie wir Dank Nawalny wissen, viele Details, an die sich die Menschen plötzlich erinnern könnten. Zum Beispiel, dass Putin über eine opulente Residenz in Südrussland verfügt, dessen Hauptgebäude knapp 17.000 Quadratmeter groß ist. Oder dass die Enten auf Medwedjews Datschanicht nur über einen Teich, sondern sogar über ein eigenes Häuschen verfügen.

P.s.: An alle meine LeserINNEN: Alles Gute zum Internationalen Frauentag!


Im Gemischten Doppel geben Inga Pylypchuk (Ukraine) und Maxim Kireev (Russland) im wöchentlichen Wechsel persönliche (Ein)-Blicke auf ihre Heimatländer.

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