Kolumne: Gemischtes Doppel #3 – Reformen und Paraden

Gemischtes Doppel #3: Reformen und Paraden (Ian Bateson, Ukraine)

Heute ist der 29. August 2016, willkommen beim Gemischten Doppel. Diesmal Ian Bateson (UA): Von einem Präsidenten, der die Armee ins Rampenlicht rückt, weil es sonst wenig zu präsentieren gibt.

Am vergangenen Mittwoch feierte die Ukraine den 25. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit – mit der größten Militärparade im Land seit dem Zerfall der Sowjetunion. Panzer und andere Militärfahrzeuge rollten auf der Kiewer Hauptstraße am ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko vorbei. Sind derartige Paraden mit ihren spät-sowjetischen Echos schon seit längerem zu einem wichtigen Standbein in Putins Russland geworden, spielten sie bislang in der Ukraine nie eine derart identitätsstiftende Rolle. Aber ungeachtet der neuen Uniformen im NATO-Standard war die Parade dennoch von sowjetischen Untertönen geprägt.

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Die Parade markierte eine Veränderung. Seit der Maidan-Revolution 2014 wurde die Parade klein gehalten, Poroschenko sprach lieber von den Reformen als von den militärischen Errungenschaften seines Landes. In letzter Zeit aber läuft es mit den Reformen nicht mehr rund.

Das neue Nationale Antikorruptions-Büro, das zu den zentralen Forderungen der internationalen Kreditgeber der bankrotten Ukraine gehört, um endlich Siege gegen die tiefgreifende Korruption herbeizuführen, liegt nun im Clinch mit der Generalstaatsanwaltschaft. Diese behindert seine Arbeit, wo sie nur kann. Das neue E-Deklarationssytem, das die Amnesie ukrainischer Politiker bezüglich ihrer Vermögen heilen soll, ist in der Schwebe. Und die populärste Reform, die so genannte „neue Polizei”, droht derzeit ihren Glanz zu verlieren. Nachdem Polizisten einen Mann vor den Augen seiner Familie erschossen, fühlen sich manche an die Schießwut amerikanischer Cops erinnert – an denen sich die neuen ukrainischen Polizisten eigentlich orientieren sollen.

Kein Wunder also, dass Poroschenko nun das vergleichsweise unumstrittene Militär ins Feld führt. So hat er selbst die neue Form der Parade begründet:

„Was soll diese Parade meiner Meinung nach zeigen? Die Öffentlichkeit sieht die neue Armee, die in den letzten zwei Jahren fast aus dem Nichts aufgebaut wurde. Und die Öffentlichkeit wird sicherstellen, dass die Streitkräfte jedes Jahr stärker werden und dass die nationale Sicherheit wächst.”

Kurz gesagt: Konzentrieren wir uns doch auf das Militär. Die Botschaft ging sowohl an das ukrainische Volk als auch an den polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda, der während der ganzen Parade – als einziger internationaler Staatschef – neben Poroschenko stand. Denn auch zwischen Polen und Ukrainern knirscht es: Während das polnische und das ukrainische Parlament sich gegenseitig weiter mit Genozidvorwürfen belegen – es geht dabei um ethnische Säuberungen zum Ende des zweiten Weltkriegs – versuchen die Präsidenten weiter außenpolitisch auf einer Linie zu bleiben.

Gemischtes Doppel
Präsident Petro Poroschenko als Oberbefehlshaber bei einem Truppenbesuch in Schytomyr. Foto: Mikhail Palinchak; www.president.gov.ua.

In seiner Rede verknüpfte Poroschenko die Unabhängigkeit der Ukraine mehr als je zuvor mit der Stärke ihrer Armee. In Ländern, die ihre Unabhängigkeit durch Kriege errungen haben, ist diese Verbindung selbstverständlich. Aber die Ukraine verließ vor 25 Jahren ohne jeden Blutzoll die Sowjetunion. Nach dem gescheiterten Augustputsch in Moskau verabschiedete die Werchowna Rada am 24. August 1991 eine formale Unabhängigkeitserklärung. Am 1. Dezember 1991 entschieden sich die Ukrainer in einem Referendum mit 90,3 Prozent für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Einen Monat später war die Sowjetunion Geschichte.

Für viele Ukrainer war die Unabhängigkeit von 1991 jedoch nicht vollkommen. Dies deutete Poroschenko an, als er sagte, die Streitkräfte seien der Hauptgarant des Landes und ein überzeugenderes Argument als das Budapester Memorandum. Dieses 1994 geschlossene Abkommen verpflichtet die USA, Großbritannien und Russland, die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Ukraine zu achten. Es hinderte Russland aber nicht daran, die Krim zu annektieren.

Vielleicht ist es nur folgerichtig, wenn das Militär in einem Land, in dem weiterhin fast täglich Soldaten sterben, eine größere Bedeutung gewinnt. Es ist aber auch eine Quelle des politischen Kapitals, welches die politische Führung der Ukraine immer häufiger nutzt. Das birgt Gefahren. Denn es wird immer die Versuchung geben, politischen Stillstand mit vorwärts marschierenden Soldaten zu übertünchen. Diese Taktik hat die Situation weder in der Sowjetunion noch im heutigen Russland besser gemacht.

[accordion open_icon=”star-o” closed_icon=”star”] [toggle title=”Ian Bateson” open=”yes”]Ian Bateson ist Journalist, Reporter und TV-Moderator. Er wurde in New York City geboren und wohnt seit 2014 in der Ukraine. Er schreibt für die New York Times, Foreign Policy und Reuters. Er hat an der Columbia University studiert und war Fulbright Stipendiat an der Diplomatischen Akademie Wien und DAAD Stipendiat an der Freien Universität Berlin. Er schreibt gerade ein Buch über die sich wandelnde ukrainische Identität nach den Maidan-Protesten.[/su_spoiler]

Das Gemischte Doppel gibt persönliche (Ein)-Blicke auf die Ukraine und Russland, geschrieben von Inga Pylypchuk und Ian Bateson (Ukraine) sowie Maxim Kireev und Simon Schütt (Russland).

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