Gemischtes Doppel #27: Puschkin mit der Kalaschnikow

Gemischtes Doppel #27: Puschkin mit der Kalaschnikow

Eigentlich wäre mein heutiges Thema eher eins für meinen Kollegen Maxim Kireev. Es geht nämlich um einen russischen Schriftsteller. Aber die Nachricht ist frisch, ich bin diese Woche dran – und unsere Themen sind ja so GRENZübergreifend, Sie werden es gleich sehen!

Donezker Volksrepublik

Sachar Prilepin, ein Schriftsteller aus Russland, hat sein Land verlassen und ist in mein Land, in die Ukraine, gekommen. Über die Grenze im Osten, über die der ukrainische Staat bereits 2014 die Kontrolle verloren hat. Dort hat Prilepin nun in der „Armee“ der sogenannten „Donezker Volksrepublik“ ein eigenes Bataillon gegründet.

Schon seit etwa zwei Jahren hatte er den Anführer der prorussischen Separatisten beraten, nun aber ist es offiziell: Prilepin kämpft für Russland mit der Waffe in der Hand. Das zeigt ein Video der „Komsomolskaja Prawda“ (Ja, diese Zeitung heißt auch 26 Jahre nach der Auflösung des Komsomol immer noch so!).

Endziel Kiew

Nun fährt Prilepin also im Donbass in einer Militäruniform herum, nennt sich Major und erzählt mit süffisantem Lächeln, er wolle mit seinem Bataillon irgendeine „nächstgelegene Stadt“ einnehmen. Ähhhm, gab es da nicht ein gewisses Minsker Abkommen? Träum weiter, Europa! Was das Endziel seines Einsatzes sei, fragt der Journalist auf dem Beifahrersitz aus dem Off. „Kiew!“ lautet die Antwort. Und weiter: „Was gibt’s da zu verheimlichen? Die ganze Ukraine!“

Ich darf an dieser Stelle daran erinnern, dass dieser Schriftsteller schon lange ebenso gehypt wie umstritten ist, auch in Deutschland, wo einer seiner Romane in Übersetzung erschien und wohin er bis vor kurzem zu Veranstaltungen eingeladen wurde. 2015 wunderten sich noch einige, als die ukrainischen Schriftsteller Jurij Andruchowytsch und Serhij Zhadan sich weigerten, mit Prilepin auf einem Podium in Berlin zu diskutieren.

Show für westliche Intellektuelle

Daraufhin schrieb Zhadan, der übrigens selbst aus dem Donbass kommt, in der taz: „Ich empfinde keine Lust darauf, ein Teil der Show für westliche Intellektuelle zu sein. Solche, die nach eigenem Empfinden gerechterweise „beiden Konfliktseiten“ ein Mitspracherecht einräumen, die aufrichtig davon ausgehen, dass diese beiden „Seiten“ zu einem Dialog bereit sein müssen. Dass dabei ein Okkupant einem Okkupierten gegenübersteht, interessiert kaum jemand.“ Versteht man jetzt vielleicht ein bisschen besser, was Zhadan gemeint hat?

Prilepin, Teil zwei des Interviews. Er greift zur Mineralwasserflasche der ukrainischen Marke Morschynska, mit Sprudel. Er liebe die Ukraine, sagt er. Die Sprache, die Küche, die Trachtenblusen. Er wolle sogar das Ukrainertum schützen. Nur die Russen können das. Ach, vielen Dank, Herr Prilepin, dass Sie sich so rührend um uns kümmern.

Die echten Ukrainer

Dann folgt noch eine fast sensationelle Aussage! Herr Prilepin stellt fest, es gebe sie tatsächlich, die echten Ukrainer. Seine Uroma zum Beispiel sei eine gewesen, die habe kein Wort Russisch gesprochen. Was für eine Redefreiheit, allen Regeln der russischen Propaganda zum Trotz. Die behauptet nämlich, die Ukrainer seien eigentlich Russen. „Ein Volk“, hat Putin einmal gesagt.

Wie nett, dass Prilepin eine eigene Meinung dazu hat. Schließlich habe ihn auch nicht Putin, sondern Puschkin motiviert, in den Krieg zu ziehen. Der große russische Dichter habe im russisch-türkischen Krieg gekämpft, erzählt er. Sein Problem sei nun, so Prilepin weiter, er habe seit seinem letzten Einsatz im Tschetschenien-Krieg vieles vergessen.

„Natürlich werde ich schießen müssen.“

Man könnte jetzt lange analysieren, was dieser ganze Auftritt überhaupt soll. Ob Prilepin das alles ernst meint oder nicht. Warum diese Nachricht ausgerechnet jetzt kommt, nachdem letzte Woche noch ein Separatistenführer getötet wurde (im letzten Halbjahr kamen bereits sechs von ihnen um). Aber jede Lust zur Analyse vergeht mir, wenn ich mir Prilepin nur anschaue.

Wie dreist er da sitzt in seiner Militäruniform, sich allen Ernstes mit Puschkin vergleicht, ukrainisches Mineralwasser trinkt und von Russlands Größe faselt. „Ich glaube fest daran, dass Russland heilig ist“, sagt er. Dass er die Menschen auf der anderen Seite töten wird, störe ihn nicht. „Ich bin ein Offizier, natürlich werde ich schießen müssen.“ Nach diesen Worten lächelt er. So etwa zehn Sekunden lang.


Im Gemischten Doppel geben Inga Pylypchuk (Ukraine) und Maxim Kireev (Russland) im wöchentlichen Wechsel persönliche (Ein)-Blicke auf ihre Heimatländer.

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