Brief zu Ostern, Karfreitag 2017

Lieber Osterhase,

natürlich weiß ich, dass außer den ganz Kleinen niemand an Dich glaubt. Doch von allen möglichen Adressaten meines Briefes bist Du der unverfänglichste. Worum gehts:

Hier in Polen zwischen Kolberg und Cammin an der pommerschen Ostsee spürt man zwei Dinge – wie verschieden Europa ist und wie sehr es zusammengehört. Vor allem spürt man: Nicht die Beamten in Brüssel machen Europa aus, nicht die Hipster in den Hauptstädten, nicht die smarten Moderatoren vom TV. Europa, das ist die Gleichzeitigkeit von Abneigung und Ähnlichkeit, das ist Vielfalt in realiter. Doch zusammengehalten – und das ist entscheidend, sonst ginge die europäische Vielfalt problemlos im übrigen Eurasien auf -, zusammenhalten wird der Kontinent von der einen mächtigen Klammer, dem Glauben an den als Mensch in die Welt geborenen Gott namens Jesus Christus. Hier in Polen wird der Glaube noch gelebt, und man atmet förmlich den Unterschied zu Deutschland, wo das Christentum allenfalls als Symbol einer vereinenden Tradition Bedeutung hat. Oder als eine unter vielen Formen der Weltauslegung, neben Islam, Buddhismus, Atheismus …

Europa driftet auseinander; wir leben in einer gefährlichen Zeit. Widerstrebende Kräfte sind am Werk. Da existieren Strömungen, die radikal nur auf die Autonomie des einzelnen Ichs hin arbeiten. Alles wird dem Willen untergeordnet; vorbestimmte Identitäten gibt es keine mehr. Mann, Frau, weiß, schwarz, gelb, grün – jede(r) wie er/sie will. Andere sehen gerade in der Annahme der Identität, die uns mit- und aufgegeben ist, die Wurzel des Glücks: meine Heimat, mein Geschlecht, mein Glaube. Wieder andere, und das ist ein großer Teil unserer gesellschaftlichen Eliten, erhofft sich von einem Europa, das politisch (fast) wie ein Land mit einer Stimme spricht, die Auflösung der historischen Widersprüche.

Lieber Osterhase, Du weißt am besten, wie wenig die ideologisch aufgeladenen Modelle umsetzbar sind. Du weißt auch: Wenn unsere Politiker nicht aufwachen, wenn sie ihr Volk weiterhin als Stammtischtäter oder Pack verachten, dann bricht es über sie herein. Dann bricht es über uns alle herein. Die Botschaft aus dem Polen der 1980er Jahre: Wenn es Spitz auf Knopf steht, ist das Volk stärker als jede Ideologie.

Europa am Scheideweg: Der Kontinent, in dem das Anderssein ebenso zur Realität gehört wie die engen Handels- und Kulturbeziehungen, darf weder dem “Fortschritt” noch dem “Rückschritt” geopfert werden. Eine schwere Aufgabe für die paar Gemäßigten, die geblieben sind.

Mit den besten Wünschen für erholsame Tag ab Osterdienstag,

Dein
Thomas Fasbender