Morgenkommentar am 6. April 2017

Dimitri Medwedjew hat wenig Sinn dafür, was beim Volk ankommt. Während sein Chef sich bei der Rettung von Zugvögeln und Tigern filmen lässt oder halbnackt auf dem Rücken sibirischer Vollblüter, zeigt der Premier sich schnieke ausstaffiert beim Skilaufen im Kaukasus.

Dass die Leute ihn lieber beim Eisangeln auf der Wolga sähen, schlägt sich dann in den Umfragen nieder. 38 Prozent aller Russen befürworten die Proteste vom 26. März, als auf einen Aufruf des Korruptionsjägers Alexej Nawalny hin zehntausende vorwiegend junge Leute in mehreren Städten zugleich auf die Straße gingen. Viele trugen Turnschuhe in der Hand – Medwedjew ist angeblich scharf auf die neuesten Sneaker-Modelle.

Trotz dem Schweigen der Medien haben 60 Prozent aller Bürger von den Demonstrationen zumindest gehört. Auch der praktische Zynismus, der zu Russland gehört wie Wodka und Pelmeni, trat in der Umfrage zutage: 24 Prozent gehen davon aus, dass die Demonstranten von irgendwem bezahlt wurden.

Medwedjews Ansehen ist seither um 10 Prozent gesunken, das der Regierung um 6 Prozent. Im Kreml wird man die Umfrage aufmerksam studieren. Schon unmittelbar nach dem 26. März hieß es, Medwedjews Chancen, auch nach den Präsidentschaftswahlen in elf Monaten im Amt zu bleiben, seien gegen Null gerutscht. Da half auch nicht, dass Putin seinen Regierungschef demonstrativ in die Arktis mitnahm.

Noch hat die Proteststimmung nicht das Niveau von 2011/12 erreicht. Damals befürworteten zwei Drittel der Befragten die Demonstrationen, derzeit halten Befürworter und Gegner sich die Waage. Zudem wirkt die hohe Zustimmung zur Krim- und Ukrainepolitik der Regierung fort; im Großen und Ganzen stützen immer noch deutlich mehr Menschen den Kremlkurs als vor der Krimkrise 2014.

Mit seinem Film über Medwedjews Villen, Yachten und Weinberge ist Alexej Nawalny, den noch vor wenigen Jahren gerade einmal sechs Prozent der Befragten überhaupt kannten, heute für 55 Prozent ein Begriff. Landesweit bringt er es auf 10 Prozent Unterstützer. Wobei jedoch die Zahl derjenigen, die ihm wirklich „definitiv“ ihre Stimme geben würden, auch nur bei zwei Prozent liegt. Die Untersuchung des renommierten Moskauer Lewada Zentrums gilt als repräsentativ und zuverlässig.

Nawalnys Dilemma ist, dass die vom Schicksal geprüften Russen am Ende jedem Politiker misstrauen. Da mag er gegen Putin sein oder für ihn. Zudem ist der Jäger gestohlener Schätze nicht nur als Nationalist, sondern auch als autoritärer Charakter bekannt. Es gibt Experten, die gestehen Wladimir Putin ein höheres Maß an demokratischen Überzeugungen zu als dem jungen Herausforderer, der mit Mut und Bärenenergie gegen das Establishment kämpft.

Vielleicht geht es nicht anders in einem Land, in dem Macht sich aus Autorität legitimiert – nicht aus der Autorität beschriebenen Papiers, sondern aus der Autorität der Persönlichkeit. Was sicher ist: Auch unter einem Präsidenten Nawalny bliebe Russland – Russland. Und er ist gerade einmal 40 Jahre alt. Die Karriere sorgt noch für Aufsehen.