Morgenkommentar am 4. April 2017

Wenn sich die Version der Behörden bewahrheitet, war es der zweite internationale Anschlag durch zentralasiatische Islamisten seit Jahresbeginn. In der Neujahrsnacht hatte ein IS-Terrorist aus Usbekistan im Istanbuler Nachtclub Reina 39 Menschen wahllos erschossen. In St. Petersburg, wo gestern 14 Menschen durch eine in der U-Bahn gezündete Bombe ums Leben kamen, wird ein kirgisischer Extremist als Attentäter vermutet.

Fragen bleiben dennoch: Wenn der Kirgise namens Akbarschon Dschalilow der Selbstmordattentäter war (anfangs war von einer deponierten Bombe die Rede gewesen) – wie passt das zu der angeblich zweiten Bombe, deren Fund kurz nach der Tat gemeldet wurde? Zwei und mehr simultane Selbstmordanschläge wären nichts Neues, aber eine derartige Kombination?

Dass ein Attentat wie gestern in St. Petersburg zu erwarten war, stand seit langem fest. In den Augen der fanatischen Sunniten des “Islamischen Staats” (IS) steht Russland sinnbildlich für die Einmischung der ungläubigen Europäer in den arabischen Konfessions- und Bürgerkrieg. Moskaus Zusammengehen mit dem schiitischen Iran, der Hezbollah-Miliz und der Assad-Regierung in Syrien macht das Land zur Zielscheibe des sunnitischen Hasses.

Hinzu kommt, dass der Dschihad in Russland einen eigenen Nährboden besitzt. Nicht in Form von Einwanderern der zweiten oder dritten Generation, sondern seit buchstäblich tausend Jahren, seit der Konversion einiger Wolga- und Kaukasusvölker zur Religion des Propheten. Tatsächlich ist es so, dass der Islamische Staat sogar Anspruch auf russisches, europäisches Territorium erhebt. Seit zwei Jahren behaupten die Terrorbosse im syrischen Raqqa, der nördliche, russische Teil des Kaukasus sei als “Emirat Kaukasus” Teil ihres “Staatsgebiets”.

Noch haben weder der Westen noch Russland eine adäquate Strategie gegen die radikalmuslimische Aggression gefunden. Dass es für die offenen Gesellschaften moderner Metropolen, ob Paris oder St. Petersburg, keinen totalen Schutz gibt, haben die Menschen akzeptiert. Schwerer zu vermitteln ist, dass die “ungläubigen” Europäer – wohlgemerkt von Los Angeles bis Wladiwostok -, die sämtlich mit Soldaten und Kriegsmaterial in der arabischen Region präsent sind, zu keiner wirksamen Zusammenarbeit finden. Noch haben Rivalitäten, Führungsansprüche und Überlegenheitskomplexe mehr Gewicht als der Kampf gegen einen zu allem entschlossenen Gegner. Noch gibt es viel zu viele Transatlantiker, hüben und drüben, die Seite an Seite “mit so einem wie Putin” niemals kämpfen würden.

Dabei könnte es dem IS-Terroristen, der gerade einem “ungläubigen Hund” den Kopf abgeschnitten hat, egaler nicht sein, ob das nun ein lupenreiner Demokrat war oder nicht.